Das Lied der Dunkelheit
sie berührt, aber es tat nicht weh und hielt sie nicht auf.
So dicht am Wald gab es keine Flammendämonen. Baumdämonen töteten jeden von ihnen, den sie sichteten, denn ihr feuriger Speichel konnte einen Baumdämon, der immerhin gegen normales Feuer immun war, im Handumdrehen in Flammen aufgehen lassen. Vor ihr verfestigte sich ein Winddämon, doch geschickt wich sie ihm aus, und die dürren Beine der Kreatur ließen es nicht zu, dass sie die Verfolgung aufnahm. Der Winddämon kreischte sie wütend an, als sie an ihm vorbeirannte.
Vor ihr schimmerte ein Licht; es stammte von der Laterne, die neben Brunas Vordertür hing. Sie setzte zu einem verzweifelten Endspurt an und schrie: »Bruna! Bruna, öffne bitte die Tür!«
Sie erhielt keine Antwort, und die Tür blieb geschlossen. Immerhin war der Weg frei, und sie wagte zu hoffen, dass sie es schaffen würde.
Doch dann trat ihr ein acht Fuß großer Baumdämon in den Weg.
Und ihre Hoffnung starb.
Der Dämon stieß ein fürchterliches Gebrüll aus und entblößte Reihen von Zähnen, die aussahen wie Küchenmesser. Selbst der Muskelprotz Steave hätte kümmerlich gewirkt neben diesem Koloss, der nur aus dicken, schwellenden Sehnen zu bestehen schien, die mit einem knorrigen, an Borke erinnernden Panzer überzogen waren.
Mit dem Finger zeichnete Leesha ein Siegel in die Luft und sandte ein stummes Gebet zum Schöpfer, in dem sie ihn anflehte, er möge ihr einen raschen Tod gewähren. In den Erzählungen hieß es, dass Dämonen nicht nur den Körper eines Menschen, sondern auch dessen Seele verschlangen. Sie nahm an, dass sie gleich herausfinden würde, ob diese Behauptung stimmte.
Der Dämon stakste auf sie zu; er nahm sich Zeit und schien abzuwarten, in welche Richtung sie flüchten wollte. Leesha wusste genau, dass sie jetzt versuchen musste, irgendwo Schutz zu finden, doch selbst wenn sie vor Schreck nicht wie gelähmt gewesen wäre, gab es keinen Ort, der ihr als Zuflucht hätte dienen können. Der Horcling stand zwischen ihr und ihrer einzigen Hoffnung auf Rettung.
Knarzend ging Brunas Vordertür auf, und ein heller Lichtschein ergoss sich auf den Hof. Der Dämon drehte sich um, als die Alte in sein Blickfeld schlurfte.
»Bruna!«, schrie Leesha. »Bleib hinter den Siegeln! Im Hof ist ein Baumdämon!«
»Meine Augen sind zwar nicht mehr so scharf wie früher, liebes Kind«, erwiderte Bruna, »aber eine derart hässliche Bestie kann man nicht übersehen.«
Sie tat einen weiteren Schritt nach vorn und überschritt den Schutzwall. Leesha kreischte in Panik, als der Dämon sich unter lautem Gebrüll auf Bruna stürzte.
Die Alte rührte sich nicht von der Stelle, als das Ungeheuer angriff; der Dämon ließ sich auf alle viere fallen und sprang mit erschreckender Geschwindigkeit los. Bruna griff in ihr Umschlagtuch und zog einen kleinen Gegenstand heraus; sie hielt ihn an die Flamme, die in der Laterne neben der Tür brannte, und Leesha sah, wie das Objekt Feuer fing.
Der Dämon hatte die Alte fast erreicht, als Bruna den Arm hochriss und den Gegenstand auf das Monstrum schleuderte. Er zerbarst und bespritzte den Baumdämon mit flüssigem Feuer. Eine Stichflamme erhellte die Nacht, und selbst aus einer Entfernung von mehreren Yards spürte Leesha sengende Hitze auf ihrem Gesicht.
Der Dämon kreischte in höchsten Tönen; er unterbrach seinen Lauf, kippte um und wälzte sich im Staub, in dem verzweifelten Versuch, die Flammen zu ersticken. Doch das Feuer ließ sich nicht löschen, und heulend und zappelnd blieb der Horcling am Boden liegen.
»Komm lieber ins Haus, Leesha«, meinte Bruna gelassen, während der Baumdämon vor ihren Augen verbrannte, »sonst erkältest du dich noch.«
Eingehüllt in eines von Brunas Umschlagtüchern kauerte Leesha in der Hütte und starrte auf den dampfenden Tee, den sie
nicht trinken wollte. Die Schreie des Baumdämons waren lange nicht verstummt, und es dauerte eine geraume Weile, bis sie in ein dünnes Wimmern übergingen und endlich ganz aufhörten. In Gedanken sah sie die schwelenden Überreste der Kreatur auf dem Hof liegen, und dieses grausige Bild verursachte ihr Brechreiz.
In der Nähe wiegte sich Bruna in ihrem Schaukelstuhl und summte leise vor sich hin, während sie sich geschickt mit einer Strickarbeit beschäftigte. Leesha verstand nicht, wie sie so gelassen bleiben konnte. Sie selbst hatte das Gefühl, als würden sich ihre Nerven nach diesem Erlebnis nie wieder beruhigen.
Wortlos hatte die
Weitere Kostenlose Bücher