Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Fingernägel. » Ich muss wie ein Vater zu ihnen sein, ihnen zeigen, wenn sie sich falsch verhalten, und sie lehren, ihre Fehler nicht zu wiederholen. «
Sie erinnerte sich noch gut daran, dass ihr Vater genau die gleichen Gründe angeführt hatte. » Ich mag den Verwalter nicht. Er ist ein roher, unbotmäßiger Kerl. Er hat es völlig an Respekt mir gegenüber ermangeln lassen. Ich möchte ihn nicht länger auf dem Gut sehen. « Sie rief sich ins Gedächtnis, wie Glebs mächtiger Schmerbauch gewackelt hatte, als er die Knute herabsausen ließ, und an die Speichelfäden auf seinem Kinn, als er sie quer über den Hof angeschrien hatte.
Jetzt löste Konstantin doch den Blick von seinem Sohn und richtete ihn auf sie. » Was willst du, dass ich tue, mein Engel? Es ist schwer, einen guten Verwalter zu finden. Er muss lesen und schreiben können und etwas von Buchführung verstehen. Gleb ist zwar nicht besonders gut im Lesen, du weißt ja, dass ich es auch nicht so mit Büchern hab. Aber mit Zahlen, da kennt er sich aus. Ein Verwalter muss über Autorität gegenüber seine Untergebenen verfügen und ehrlich sein. «
» Und dieser Grobian soll ehrlich sein? Er sieht mir ganz und gar nicht danach aus. « Mit dem friedlichen Kind im Schoß rutschte sie auf Konstantins Knie. Er wirkte überrascht, ließ sie aber gewähren. » Bitte, mein Gatte « , sagte Antonina und küsste ihn auf die Wange, doch da rückte Konstantin ein Stück zur Seite, sodass sich Antonina wieder neben ihn setzen musste.
» Na ja, stimmt schon: Ich bin seit einiger Zeit auch unzufrieden mit Gleb, aus verschiedenen Gründen. Aber es wird dauern, bis ich einen Ersatz für ihn gefunden habe. «
Antonina drückte die Lippen an Michails weichen Kopf, spürte seinen Puls. » Was ist mit dem Küfer? Diesem dunkelhaarigen Mann? « , sagte sie und war selbst erstaunt über ihre Worte. » Grischa. Er ist viel jünger und kräftiger als Gleb. Ich weiß, dass er lesen kann, weil ich ihn mit einem Buch gesehen habe. «
» Nun, er ist ein tüchtiger Fassmacher « , sagte ihr Mann.
» Einen Küfer kann man wahrscheinlich leichter ersetzen als einen Verwalter, was meinst du? «
» Er spricht nicht viel « , antwortete Konstantin. » Aber er strahlt durchaus eine gewisse Stärke aus. « Er stand auf, hatte es plötzlich sehr eilig – er war mit Tanja verabredet. » Na ja, es kann ja nicht schaden, wenn ich mal mit ihm rede. «
Antonina sah ihn lächelnd an. Er sträubte sich zwar dagegen, aber wenn sie ihn so ansah, war er machtlos.
» Danke, mein lieber Gatte « , sagte sie. » Ich finde, Mischa sieht dir von Tag zu Tag ähnlicher. Schau dir nur seine hohe Stirn an. «
Konstantin schwellte vor Stolz die Brust.
» Sprichst du jetzt gleich mit Grischa? « , fragte sie. Konstantin versprach es. Dann nahm er seinen Sohn, hob ihn hoch und sah ihn strahlend an.
Michails Geburt war reibungslos verlaufen, auch wenn sie Antonina lang und schmerzhaft vorkommen war, wie es für die meisten Erstgebärenden der Fall war.
Sie weigerte sich, ihr Kind einer Amme anzuvertrauen. Zum Leidwesen ihres Mannes, der es für unter ihrem Stand hielt, stillte sie den Jungen selbst.
Als Frau eines Grundbesitzers bestand ihre einzige Pflicht darin, ihrem Mann Kinder zu schenken. Die Pflege und Erziehung indes sollte man anderen überlassen: den Ammen und Kindermädchen und Gouvernanten und Hauslehrern. Die Eltern ließen sich vom Personal regelmäßig über den Gesundheitszustand der Kleinen berichten und verfolgten später, wenn die Kinder älter wurden, ihre Fortschritte beim Erlernen der jeweiligen Fertigkeiten – Französisch und Deutsch, die ersten Musikübungen sowie, bei Jungen, Reiten, Bogenschießen und Schießen, bei Mädchen dagegen Handarbeiten.
Aber Antonina war so fasziniert von ihrem Sohn, dass sie ihn nur ungern aus den Händen gab. Vor seiner Geburt hatte sie noch nie ein Baby im Arm gehalten. Während der ersten Wochen, in denen sie lernte, ihn zu stillen und zu versorgen, verlor sie jegliches Interesse an anderen Dingen. War das normal?, wollte sie von Lilja wissen.
Lilja wusste die Antwort nicht. Wenn sie Michail im Arm hatte, erinnerte sie sich, wie es sich angefühlt hatte, ihre Zwillinge zu halten. Aber ihre beiden Mädchen waren von Anfang an kränklich gewesen und hatten die meiste Zeit geweint. Schon kurz nach der Geburt musste sie aufs Feld zurück, ein Kind auf den Rücken, das andere vor den Bauch gebunden, obwohl sie erst wenige Tage alt waren.
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