Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
vor, zu deinem Mann zu ziehen, wenn er dich nachkommen lassen will? «
» Ich hoffe, dass ich dieses Schwein nie wiedersehe. Das hier ist mein Zuhause. Die Gräfin braucht mich. Aber du hast meine Frage nicht beantwortet – habt ihr eure Hochzeit schon geplant? «
» Nein. Ich war im vergangenen Jahr aber schon häufig bei Anjas Familie zu Besuch, und sie freut sich, meine Frau zu werden, Lilja. Ich habe auch schon mit ihrem Vater gesprochen. Und das Einzige, was ich mir jetzt noch wünsche, ist dein Segen. Dann werde ich die Gräfin um Erlaubnis bitten, dass ich mit Anja ein Zimmer im Dienstbotenquartier für verheiratete Paare bekomme. Vielleicht kann Anja Raisa vorerst in der Küche helfen. «
» Vorerst – was meinst du damit? «
» Bis wir weggehen. «
Lilja schluckt schwer. » Du willst Angelkow verlassen? Und wohin willst du? «
» Wir werden mit Grischa gehen. «
» Grischa? « Lilja ist sich bewusst, dass sie wie ein Papagei die Worte ihres Bruders nachspricht, aber sie ist so überrascht, um nicht zu sagen schockiert, dass sie kaum einen klaren Gedanken fassen kann.
» Er will sich ein eigenes Gut aufbauen, und ich werde sein Verwalter sein. «
» Grischa, ein Grundbesitzer? Und wie will er das schaffen? «
» Er besitzt bereits ein Stück Land « , erwidert Ljoscha ruhig. Er hat keinen Grund, es seiner Schwester zu verheimlichen. Grischa hat schon im Februar mit ihm darüber gesprochen, als es um die Aufhebung der Leibeigenschaft ging.
Liljas Gedanken rasen. » Er besitzt Land? Wo? «
» Er hat eine kleine Parzelle von Prinz Bakanew gekauft. «
» Wie konnte er sich das leisten? «
» Lilja, du weißt doch, dass Grigori Sergejewitsch schon seit vielen Jahren in einer guten Stellung für den Grafen arbeitet. Er bekommt einen angemessenen Lohn dafür. Er hat keine Frau und keine Familie und konnte so fast den ganzen Verdienst sparen. «
Lilja ergreift Ljoschas Hände. » Bitt unternimm noch nichts, mein kleiner Bruder. Ich bitte dich. Sprich noch nicht mit der Gräfin und sag niemandem, dass du vorhast, das Gut zu verlassen. Noch nicht. «
Ljoscha erkennt die Panik in ihrem Gesicht, in ihrer Stimme. Und noch etwas anderes, etwas Verstörendes. Sie ist völlig verzweifelt, wild und besitzergreifend umklammert sie seine Hände. Sie tut ihm leid. Sie arbeitet zu viel, denkt er.
Antonina ist es gelungen, nicht wieder in den tiefen schwarzen Abgrund der ersten Monate nach Michails Verschwinden zurückzufallen. Sie denkt noch immer unaufhörlich an ihn, aber jetzt tut sie es im Zustand der Benommenheit. Sie weigert sich nach wie vor zu glauben, dass er tot ist, auch wenn keine Nachricht mehr von ihm eingetroffen ist und sich Lew nicht mehr hat blicken lassen.
Es ist, als wäre sie Witwe. Konstantins Geist scheint von Tag zu Tag zerrütteter. Nachts irrt er durchs Haus, und der lose herabbaumelnde Ärmel seine Nachthemds an seinem amputierten Arm verstärkt seine geisterhafte Erscheinung noch. Nachts, wenn sie die Augen öffnet, sieht sie ihn manchmal neben ihrem Bett stehen und auf sie herabblicken. Beim ersten Mal schrie sie laut auf, sodass Pawel herbeirannte und den alten Mann in sein Schlafzimmer zurückführte. Beim zweiten Mal sagte sie ihrem Mann einfach, er solle ihr Zimmer verlassen, und er gehorchte.
Pawel füttert ihn mit einem Holzlöffel, wie ein kleines Kind. Der alte Kammerdiener besteht darauf, dass sein Herr nicht ohne die Chloroformtinktur auskommt, doch Antonina fragt sich, ob es sein kann, dass Konstantin nach drei Monaten noch immer solche Schmerzen hat.
Irgendwie schafft sie es, einen Tag nach dem andern zu überstehen. Da man auf Angelkow seit dem Weggang vieler Leibeigenen – von denen es, wenn man ehrlich ist, eigentlich zu viele gab – plötzlich bei jeder noch so kleinen Entscheidung ihre Hilfe und ihren Rat benötigt, fühlt sie sich zum ersten Mal in ihrem Leben gebraucht.
Und solange sie genug Wodka hat, schafft sie es, zwei, drei Stunden nachts zu schlafen, sodass sie am nächsten Tag weitermachen kann.
Antonina erhält eine Einladung zu einer musikalischen Soiree auf dem Gut des Prinzen und der Prinzessin Bakanew. Wie üblich hat sie vor abzusagen. Bestimmt haben sie Verständnis. Es ist erst vier Monate her, seit Mischa verschwunden ist. Antonina kommt es wie vier Jahre vor. Sie kann sich nicht genau erinnern, wie sich ihr Leben davor angefühlt hat, nur an zahllose glückliche Momente mit Michail erinnert sie sich: wenn sie den Geschichten lauschte, die
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