Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
stellt sich zahlreiche in Satin, Seide und Samt gewandete Menschen vor, die sich in einem überhitzten Raum drängen, der von Kandelabern erleuchtet ist und wo der Dunst von Öllampen in der Luft hängt. Den Geruch von Parfüm und Zigarren. Die Gesichter, die sie voller Mitleid anschauen, die Seufzer, wenn sie mitfühlend ihre Hand drücken. Und wie sich die wohlmeinenden Leute wieder von ihr abwenden, erleichtert, ihre Pflicht gegenüber der armen Frau getan zu haben und sich wieder dem Champagner und den Silbertabletts voller Hors d’œuvres mit Kaviar widmen zu können, während man auf den Beginn der musikalischen Darbietung wartet.
Dann denkt Antonina an den langen, einsamen Abend, der sie auf Angelkow erwartet. Sie wird ein leichtes Abendessen zu sich nehmen und sich dann in ihr Schlafzimmer zurückziehen. Dann wird sie Lilja wieder klarmachen müssen, dass sie es vorzieht, allein zu sein. Sie wird lesen, immer wieder an ihrem Wodka nippen, bis ihr die Augen brennen und der Alkohol sie schläfrig gemacht hat, und schließlich beten, dass sie schlafen kann und von Albträumen über Michail verschont bleibt.
Sie will sich diesen langen Abend, der vor ihr liegt, nicht weiter ausmalen. Das Sonatenrondo von Haydn fühlt sich nicht richtig an. Sie hört mittendrin auf und beginnt stattdessen Chopins Prélude in b-Moll.
Nach den ersten zehn Takten erträgt sie es nicht mehr. Sie erinnert sich an die Freude, die sie immer empfunden hat, wenn sie schöner Musik lauschte, wie sehr sie die musikalischen Soireen genossen hat.
Sie langt wieder nach ihrem Glas, stößt es jedoch um. Zum Glück rinnt der Wodka an der Seite des Klaviers hinab und nicht über die Klaviatur. » Ich rufe Nuscha, damit sie es wegwischt « , sagt Lilja und hebt das leere Glas auf.
Antonina blickt auf die Tasten hinab. Lilja hat recht: Sie ist zu viel allein. Sie muss unbedingt einmal aus Angelkow hinauskommen, weg von Konstantin und seinem verstörenden Gebaren, weg von den stumpfsinnigen Gläsern Wodka.
» Vielleicht gehe ich wirklich, Lilja! « , ruft Antonina hinter ihr her. » Aber nicht das kastanienbraune Seidenkleid. Richte mir das schwarze Taftkleid her. «
ZWEIUNDZWANZIG
S chon wenige Minuten, nachdem sie den Salon der Bakanews betreten hat, weiß Antonina, dass es ein Fehler war herzukommen.
Sie hat sich auf solchen Festen schon immer fehl am Platz gefühlt und nie so recht gewusst, was sie reden sollte, außer die Fragen nach dem Ergehen ihres Mannes zu beantworten oder von den jüngsten Streichen ihres Sohnes zu erzählen. Doch während sie nun von Grüppchen zu Grüppchen geht, wird ihr bewusst, dass niemand der umstehenden Frauen und Männer Konstantin oder Michail auch nur erwähnen wird. Abendveranstaltungen wie diese sind nicht der geeignete Ort, um unangenehme Themen aufs Tapet zu bringen.
Also lächelt und nickt sie und beantwortet mit so viel Würde wie ihr möglich die Kommentare jener, die ihr versichern, wie glücklich sie sind, sie hier zu sehen. Immer wieder versichert man ihr, wie schön sie aussieht, wenngleich sie weiß, dass das nicht stimmt. Sie fühlt sich unsicher in ihrem schwarzen Taftkleid und mit den schwarzen Federn im Haar. Sie hat sich gekleidet, als wäre sie tatsächlich Witwe, ein weiterer Fehler.
Sie beantwortet Fragen, die das Gut betreffen, zu dem Exodus der Leibeigenen, und ja, sie findet auch, dass der kühle Herbst eine Erleichterung nach der Hitze des Sommers ist.
Sie trinkt die Gläser Champagner, die man ihr anbietet, isst aber nichts. Während des Konzerts bleibt sie am hinteren Rand des Raums stehen. Sie genießt die Musik und beobachtet die acht Musiker, ohne sie wahrzunehmen: Sie sind wie eine Schar sich bewegender schwarzer Vögel, die schöne Laute von sich geben. Doch als der Pianist nach dem letzten Stück die ersten Takte von Glinkas Séparation in f-Moll anstimmt, fühlt sie sich wie in einen Teich mit eiskaltem Wasser gestoßen.
Vor ihrem geistigen Auge sieht sie Michail, der, sein kleines Kompositionsheft fest an die Brust gedrückt, seinem Vater hinterherläuft.
Als sie mit zitternder Hand ihr Glas abstellt, fällt ihr Blick auf den Geiger. Und plötzlich ist sie in das Haus ihres Vaters zurückversetzt und hört Walentin Wladimirowitsch zu, der den Pianisten auf der Violine begleitet, nachdem er kurz zuvor mit ihrer Mutter geschlafen hat.
Er weiß, er hat diese Frau in Schwarz schon einmal gesehen. Auf einem der großen Güter, die den Norden der Provinz Pskow
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