Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
dieser Musik wider. Und dann – ist sie verschwunden. Während die letzten Klänge zögernd verklingen, verlässt sie den Salon.
Antonina will nach Hause. Erst als dieses Stück von Glinka ertönte, wurde ihr klar, dass er es ist. Aber sie will jetzt mit niemandem sprechen, fürchtet, ihre Beherrschung zu verlieren. Mit eiligen Schritten strebt sie in die Eingangshalle des im palladianischen Stil erbauten Gutshauses der Bakanews und blickt sich suchend um … aber wonach genau? Plötzlich hat sie Atemnot.
Ein Dienstbote bemerkt, wie sie dasteht und sich mit der Hand an die Kehle fährt, und läuft herbei. Er führt sie in den Garderobenraum. Doch Antonina kann sich nicht sogleich erinnern, was sie getragen hat. Schließlich deutet sie auf ihr schwarzes Samtcape und bittet den Diener, ihren Landauer vorfahren zu lassen. All das scheint eine Ewigkeit zu dauern. Sie geht auf die Veranda hinaus, um die frische Herbstluft einzuatmen und ihr erhitztes Gesicht zu kühlen.
Nachdem er schnell seine Violine im Kasten verstaut hat, eilt Walentin mit einem galanten Lächeln auf den Lippen aus dem Salon, während er versucht, allen auszuweichen, die ihm die Hand schütteln und ihn zu dem gelungenen Konzert beglückwünschen wollen. Er hat kaum mehr Hoffnung, diese Olonowa noch zu erwischen; allem Anschein nach war sie sehr aufgewühlt und ist wahrscheinlich schon abgefahren. Er begibt sich auf die Veranda, um eine Zigarette zu rauchen. Auch andere Männer stehen dort und unterhalten sich leise.
Dann sieht er sie.
» Verzeihen Sie « , sagt er, indem er an sie herantritt und sich verbeugt. » Wir sind uns schon einmal begegnet. Vor einigen Jahren. Auf der Feier Ihres Namenstages, wenn ich mich nicht irre. Prinzessin …? « Er wartet, dass Sie sich vorstellt.
» Gräfin Mitlowskaja « , sagt sie und streckt ihm die Hand entgegen. » Ja. Ich erinnere mich an Sie. Aber nicht mehr an Ihren Nachnamen, tut mir leid. Nur an Ihren Vornamen, Walentin Wladimirowitsch, stimmt’s? «
Er hat die Lippen auf ihre behandschuhte Hand gesenkt, und als er den Kopf wieder hebt, lächelt er zufrieden. » Was für ein gutes Gedächtnis Sie haben « , sagt er. Er hat die Notenblätter vergessen, die er ihr damals schenkte und auf die er eine Widmung schrieb.
Sie zieht ihre Hand zurück. » Es war ein wunderschönes Konzert. Vor allem das letzte Stück, es ist eines meiner liebsten: La Séparation in f-Moll. «
» Ich weiß « , sagt er, worauf Antonina verwirrt blinzelt und sich an dem Verschluss ihrer kleinen Abendtasche zu schaffen macht. Erinnert er sich also ebenso wie sie an jenen Abend?
» Ich warte auf meinen Landauer « , sagt sie.
» Dann wohnen Sie in der Nähe? Da Sie nicht über Nacht bleiben? «
» Ja. «
Besonders gesprächig ist sie ja nicht, denkt er. » Nun, vielleicht sehen wir uns dann bei einer anderen Gelegenheit, vielleicht wenn Sie das nächste Mal mit Ihrem Gatten zu Besuch kommen. Ich werde die nächsten Monate über hier wohnen, um den kleinen Nichten von Prinzessin Bakanew Musikunterricht zu geben. «
Antonina entgeht die unterschwellige Frage, die in dem Wort » Gatte « mitschwingt, nicht. Sie streicht mit der Hand über die Falten ihres schwarzen Taftrocks. » Wir machen kaum mehr Besuche. Mein Mann ist krank. «
» Das tut mir leid. «
» Danke. Oh, da kommt ja meine Kutsche. Es war sehr schön, Sie wiederzusehen « , sagt sie, während vor dem Eingang ein Landauer mit glänzenden Messinglampen vorfährt, gezogen von zwei edlen tänzelnden Arabern. » Wie gesagt, Sie spielen noch immer so schön wie damals. Nein, noch schöner, ganz bestimmt « , fügt sie hinzu. » Auf Wiedersehen, Herr … «
» Kropotkin. «
» Herr Kropotkin « , wiederholt sie, ehe sie sich umdreht und die Stufen hinabgeht.
Er beugt sich über das Geländer und verfolgt, wie der Kutscher absteigt und ihr den Arm reicht. Er ist groß, hat schwarzes windzerzaustes Haar und ist informell gekleidet. Die Frau legt ihre Hand auf seinen Arm, während er den Schlag für sie öffnet, und lässt sich von ihm in die Kutsche helfen. Irgendetwas an der Szene kommt ihm befremdlich vor: Das Verhalten des Mannes ist zu vertraulich für einen Diener.
Walentin dreht sich zu einem der männlichen Gäste um, der in der Nähe steht und Zigarre raucht. » Verzeihen Sie « , sagt er, » kennen Sie diese Frau … Gräfin Mitlowskaja? «
Der Mann nimmt die Zigarre aus dem Mund und stößt einen Schwall würzigen Rauch aus. » Wir haben sie schon seit
Weitere Kostenlose Bücher