Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Grischa Fjodor und Ljoscha, ihm heimlich zu folgen, als er das Gut wieder verließ. Die ganze Nacht beschatteten sie die Hütte in dem Dorf, in die er sich begeben hatte, um am nächsten Morgen festzustellen, dass er ihnen irgendwie entwischt war.
Nachdem Grischa sämtliche Dörfer auf der Suche nach Soso abgeklappert hatte, machte er sich erneut auf die Suche, diesmal nach Lew. Doch er blieb erfolglos. Auch wenn er manchmal fürchtete, dass sie das Kind getötet und die Provinz verlassen hatten, wusste er andererseits, wie groß ihre Gier war. Er sagte sich, sie würden das Kind so lange behalten, wie sie glaubten, Geld aus ihm herausschlagen zu können.
Es machte ihm zu schaffen, Tag für Tag Gräfin Mitlowskaja unter die Augen treten zu müssen. Er schlief schlecht, während ihn immer wieder die gleichen Gedanken und Bilder im Kopf herumgingen: der Verfall des Grafen, die Gräfin, die nur noch ein Schatten ihrer selbst war, und Michails Gesicht auf der Lichtung.
All die Monate über haben ihn Gewissensbisse gequält. Doch als er an diesem Morgen erwachte, fand er eine Nachricht unter dem Türschlitz. Er solle am folgenden Nachmittag die zweite Lösegeldsumme zu einer Hütte in Tuschinsk bringen. Im Gegenzug würde Michail Konstantinowitsch auf ihn warten.
Jetzt sieht er Antonina mit ihren abgewetzten Dienstbotenstiefeln und dem Weidenkorb am Arm an. » Ich glaube, heute ist ein guter Tag, Gräfin « , sagt er schließlich. Am liebsten würde er ihr die Neuigkeit verkünden, weiß jedoch, dass es keine gute Idee wäre, ihr Hoffnungen zu machen, ehe er den Jungen nicht in sicherem Gewahrsam hat.
» Glaubst du das, Grischa? Tatsächlich? «
Er sieht sie lächelnd an und deutet mit einem Nicken auf ihren Korb mit dem Messer. » Sie werden jede Menge Pilze finden. «
Sie zieht einen Mundwinkel hoch und bringt ein schiefes Lächeln zustande. » Ja « , sagt sie. » Das werde ich bestimmt. «
Wieder streicht Grischa sich eine Haarsträhne hinters Ohr.
Als Antonina im Wald den frischen Modergeruch des gefallenen Laubs wahrnimmt, fühlt sie sich an ihre Kindheit erinnert. Wie liebte sie es, mit einem ihrer Brüder oder der Gouvernante Pilze zu suchen!
Sie bahnt sich einen Weg durch das Unterholz und hält in der feuchten Schicht aus gefallenen Blättern, abgebrochenen Ästen und Moos, die die Erde bedeckt, Ausschau nach den kleinen gerundeten Kappen. Wenn sie einen Pilz entdeckt, bückt sie sich, kratzt mit den Fingern die feuchte Erde weg und schneidet ihn ab, mal einen Milchbrätling, dann wieder einen köstlichen rötlichen Reizker. Hin und wieder findet sie auch Austernpilze, die an bestimmten Bäumen wachsen.
Als sie ein paar Stunden später mit vollem Korb nach Hause zurückkommt, ist die Vordertür abgeschlossen. Auf Angelkow gibt es keinen Diener mehr, der den ganzen Tag im Vestibül steht und die Tür bewacht, Gästen den Mantel oder Umhang abnimmt und sie hereinbittet oder Nachrichten in Empfang nimmt. Aber es gibt ja auch keine Gäste mehr, die es zu empfangen gilt.
Sie geht ums Haus herum und betritt durch den Dienstboteneingang die Küche. Sie stellt den Korb mit den Pilzen auf den Tisch. Raisa ist nicht da, aber auf dem Herd steht ein großer Topf mit kochendem Wasser, und auf einer Arbeitsfläche sieht sie eine Platte mit geschälten und geschnittenen Kartoffeln.
Das viele Gehen und Bücken und Wegkratzen von Erde hat sie ermüdet; sie ist körperliche Anstrengung nicht mehr gewohnt. Sie hat nicht mal mehr die Energie, in der heißen Küche die Stiefel aufzuschnüren und sie auszuziehen. Als sie langsam die geschwungene Treppe hinaufgeht, bemerkt sie die Staubschicht, die sich auf die Stufen gelegt hat, und einen Riss in dem persischen Läufer. Der Messinghandlauf am Geländer ist stellenweise grünlich verfärbt.
Es gibt nicht mehr genügend Dienstboten, um das große Haus zu pflegen. Antonina ist aufgefallen, dass Lilja in letzter Zeit den Schlüsselbund der Haushälterin an ihrem Gürtel trägt, obwohl Olga noch da ist. Sie hat sie nicht gefragt, seit wann und warum das so ist.
In ihrem Zimmer angekommen setzt sich Antonina in den genoppten Ledersessel in der Nähe des Kamins und bindet mühsam die Schnürsenkel der Stiefel auf. Sie streift sie von den Füßen und lässt sie liegen, wo sie hinfallen. Ihre Strümpfe kleben an den wund geriebenen Fersen. Sie legt sich aufs Bett und blickt zur Decke. Die Luft im Zimmer ist stickig und riecht abgestanden. Alles ist so, wie sie es verlassen hat:
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