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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Längerem nicht mehr gesehen. Ihr Mann ist sehr krank. Eine traurige Geschichte, die Sache mit den Mitlowskis. Sie sind Opfer der sozialen Unruhen geworden: Ihr Sohn wurde entführt, und das Verbrechen ist noch immer nicht aufgeklärt; und dann hat der Mann seinen Arm verloren. Aber inzwischen handelt es sich um eine Geisteskrankheit, wie man hört. Das Gut ist allem Anschein nach in einem schlechten Zustand. « Der Mann unterbricht sich, nachdem ihm klar geworden ist, dass er dem Musiker womöglich zu viel verraten hat. Er schiebt es auf die zahlreichen Gläser Champagner, die er getrunken hat. » Sie wohnt auf dem Nachbargut, auf Angelkow « , sagt er in einem Ton, der klarmacht, dass für ihn damit das Gespräch beendet ist.

DREIUNDZWANZIG
    A ls Antonina am nächsten Morgen aufwacht, denkt sie über die merkwürdige Begegnung mit Kropotkin nach.
    An dem Tag, als sie Mischa zum letzten Mal sah, spielte er genau dieses Nocturne von Glinka, und obgleich sie seitdem das Stück selbst unzählige Male gespielt hat, war es für sie überwältigend, es in dieser wunderschönen Version von dem kleinen Kammerorchester zu hören.
    Es ist nun mehr als elf Jahre her, seit sie den Geiger mit ihrer Mutter im Bett erblickte. Sie kann sich nicht erinnern, wann sie sich die Szene zuletzt ins Gedächtnis rief. Gewiss ist es viele Jahre her. Diese Fantasien gehören längst der Vergangenheit an; in ihrer Trauer und der tiefen Sorge um Mischa ist ihr der eigene Körper nunmehr zur Last geworden. Sie braucht all ihre Energie, um das Gut zu erhalten und dafür zu sorgen, dass die Suche nach ihrem Sohn irgendwie weitergeht.
    Nach Michails Geburt kam Konstantin nur noch selten zu ihr, ungefähr einmal im Monat. Sie wünschte sich ein zweites Kind – nein, weitere Kinder, nachdem Michail ihr eine so tiefe Freude bereitete. Konstantin indes schien das Interesse an der körperlichen Seite der Ehe verloren zu haben, nachdem der ersehnte Sohn endlich da war. Sie musste sich nun nicht mehr vorstellen, in den Armen des Geigers zu liegen, um die Berührung durch ihren Gatten zu ertragen – denn irgendwann hörte er auf, sie zu berühren.
    Von Tanja weiß sie schon seit Langem. Als sie ein paar Monate nach Mischas Geburt an Konstantins Schlafzimmer vorbeiging, sah sie, wie er der Wäscherin etwas ins Ohr flüsterte, während seine Hand besitzergreifend auf ihrer Hüfte lag. Sofort lief sie zu Lilja, um sie zu fragen, ob der Graf sie oder eine der anderen jüngeren Bediensteten belästige. Doch Lilja verneinte ihre Frage bestimmt. » Dann hat er also nur etwas mit Tanja? « , fragte Antonina, worauf Lilja nickte.
    Antonina ist es gleich. Im Grunde tut ihr die Wäscherin sogar leid. Sie ist alt, fast in Konstantins Alter, ihr kastanienbraunes Haar ist von weißen Fäden durchzogen, und sie hat Schlupflider. Wenn Antonina am Waschraum vorbeikommt, sieht sie, wie sie mit einem Holzlöffel in riesigen Töpfen mit kochendem Wasser rührt und die Wäsche bleicht, ihr Gesicht feucht vom Dampf, die Schultern gebeugt. Wenn sie Tanja hin und wieder auf dem Gang begegnet, einen Stapel frischer Laken auf den Armen, spiegelt ihr Gesicht nur Müdigkeit. Wie könnte sie der Frau also die Schuld geben für etwas, wozu ihr Mann sie zwingt?
    Und doch gab es Zeiten, als sich Antonina so einsam fühlte, dass sie Konstantin in seinem Schlafzimmer besuchte. Meistens tat er dann so, als wäre es schamlos von ihr, zu ihm zu kommen, statt zu warten, bis er zu ihr kam, und verweigerte sich ihr.
    Während der letzten drei Jahre hatten sie keinen Verkehr mehr. Selbst wenn sie ihm sagte, sie wolle einfach nur ein wenig bei ihm sein, in seinem Arm einschlafen, wies er sie ab.
    Wein und Wodka halfen ihr über die Einsamkeit hinweg, so wie sie ihr in verschiedenen Phasen ihres Lebens immer wieder geholfen haben.
    Jetzt kann sie in keiner Hinsicht mehr auf Konstantin zählen. Als sie das letzte Mal versuchte, von ihm Auskunft über ihre finanzielle Situation zu bekommen, erhielt sie zum soundsovielten Mal die Antwort, dass die Bediensteten alles gestohlen hätten.
    Lilja hilft ihr beim Ankleiden und macht ihr das Haar. Dann schreibt sie einen Brief an Konstantins Anwalt Jakowlew in Pskow, worin sie ihn um seinen Besuch auf dem Gut bittet. Sie braucht dringend Geld. Nachdem sie Ljoscha den Brief übergeben hat, damit er ihn wegbringt, ertappt sie sich dabei, wie sie plötzlich Lust auf frische Pilze in einer Kartoffelsuppe hat. Seit dem Frühling hat sie sich keine Gedanken mehr

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