Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Gedanken wieder. Warum sollte Lilja eifersüchtig sein?
Lilja glaubt zu wissen, was vor sich geht: Walentin ist dabei, sich in Antonina zu verlieben. Lilja kann sich nicht vorstellen, dass jemand längere Zeit mit Antonina verbringt, ohne sich in sie zu verlieben.
Sie weiß jedoch nicht, was Antonina für Walentin empfindet, auch wenn sie versucht, sie auf plaudernde, beiläufige Art auszufragen. Wie lange wird Herr Kropotkin auf dem Gut des Prinzen und der Prinzessin Bakanew bleiben? Ist er verheiratet? Wo kommt er her? Wird er nach Sankt Petersburg zurückgehen, wenn die Nichten der Bakanews wieder nach Hause zurückkehren, oder die Kinder eines anderen Grundbesitzers auf einem Gut in der Nähe unterrichten?
Während Lilja nach Walentins Besuch einer ihrer üblichen Verrichtungen nachgeht, zum Beispiel das Bettzeug glatt streicht oder ein Kleid in den Schrank hängt, beantwortet Antonina kurz und bündig ihre Fragen. Aber hin und wieder erdreistet sich Lilja, eine abfällige Bemerkung über ihn zu machen – Er langt ja ordentlich zu beim Kuchen, und hast du gesehen, wie er ein Stück Zucker zwischen die Zähne gesteckt hat, bevor er Tee trank? Das zeigt, dass er bäuerliche Wurzeln hat. Offenbar erwartet, nein hofft sie, dass Antonina lacht und ihr zustimmt.
Aber Antonina tut ihr diesen Gefallen nicht, sondern weist sie scharf zurecht. » Deine Aufgabe ist es, Kuchen zu servieren, Lilja, nicht zu zählen, wie viele Stücke gegessen wurden. « Dann glaubt Lilja, dass Antonina etwas für Walentin Wladimirowitsch empfindet, und zwar auf eine Art, die nichts mit seinem Violinspiel zu tun hat.
Lilja weiß, dass Grischa sich ebenfalls über Kropotkins Besuche ärgert. Jedes Mal, wenn der Geiger in den Hof geritten kommt, begleitet Grischa ihn bis zur Haustür, dort bleibt er stehen und verfolgt, wie Pawel ihn zum Musiksalon führt.
Wenn er Kropotkin zur Haustür bringt, beobachtet sie Grischas Gesicht. Inzwischen fühlt sie sich in ihrem Verdacht bestätigt, der vor wenigen Wochen in ihr aufgekeimt ist. Auch Grischa ist in die Gräfin verliebt. Andererseits weiß sie, dass Antonina unmöglich Grischas Gefühle erwidern kann. Er ist doch nur der Verwalter. Sie beschließt, Grischa aufzustacheln, um Walentin auszuschalten.
Nichts und niemand wird sich zwischen sie und Antonina drängen.
ZWEIUNDDREISSIG
E s ist einer der Nachmittage, an denen Walentin zu Besuch da ist, und Grischa hat ihn wie immer zur Haustür begleitet. Aber als er die Verandastufen hinabsteigen will, ruft Lilja seinen Namen. Sie steht direkt hinter ihm. Wo ist sie so plötzlich hergekommen?, wundert sich Grischa.
» Lilja! Was schleichst du dich denn so an! «
» Ich muss mit dir reden « , sagt sie.
Er ist sich sicher, dass sie etwas im Schilde führt. » Was willst du? «
» Nicht hier. Unter vier Augen. Ich komme mit dir in dein Haus. «
» Nein. Sag mir jetzt, was du willst. «
Lilja blickt sich verstohlen über die Schulter um. » Heute Abend, wenn sie im Bett ist. Komm in die Küche. «
Ihre ungeschickte Art, mit der sie versucht, seine Neugierde zu wecken, irritiert ihn. » Was gibt es, Lilja? «
» Es geht um Mischa « , sagt sie, und sofort verschwindet sein ärgerlicher Ausdruck. Er dachte, sie wisse nichts über die Entführung, jedenfalls nicht, dass Soso oder er dahinterstecken. Doch als er jetzt in ihrem Gesicht forscht, fragt er sich, ob sie nicht doch etwas weiß.
» Was meinst du damit? «
Sie kneift die Augen ein wenig zusammen und sieht ihn noch immer auf diese merkwürdig heimlichtuerische Art an. » Wir werden über Mischa reden « , sagt sie. » Heute Abend, in der Küche. «
Nachdem die Besuche dieses Geigers anfingen und Lilja mit ansehen konnte, wie Grischa darauf reagierte, beschloss sie, schnell zu handeln. Und jetzt ist sie so weit, mit Grischa zu reden.
Als sie Sosos Handschrift auf dem Holzbrett am Hals des Pferdes erkannte, wurde ihr klar, dass er sich irgendwo in der Nähe von Angelkow aufhalten musste. Die Erkenntnis dessen, was er getan hatte, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Und ein alter Verdacht stieg wieder in ihr auf, ein Verdacht, den sie eigentlich schon längst wieder verworfen hatte. Damals im April hatte sich Lilja ein paar Tage lang Sorgen gemacht, dass Soso irgendwie mit Michails Entführung zu tun haben könnte. Als er kurz darauf von Angelkow verschwand, war sie froh, ihn los zu sein, und redete sich ein, dass er es nicht gewesen sein konnte. Alle hatten davon gesprochen,
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