Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Bescheidenheit. Er ist Musiker, und sein Beruf ist es, für andere zu spielen. » Gibt es einen Komponisten, den Sie besonders mögen? «
Er erinnert sich gut daran, welche Wirkung das Glinka-Nocturne an dem Konzertabend bei den Bakanews auf sie hatte, und fürchtet, dass es weitere Stücke oder Komponisten gibt, die sie ebenso tief berühren könnten. Sie ist, wie ihm nicht entgangen ist, in einer ziemlich labilen Verfassung, und die Worte des Verwalters kommen ihm wieder in den Sinn. Er mag diesen Mann nicht.
» Vielleicht Bach? « , fragt er, nachdem er vergeblich auf eine Antwort gewartet hat. » Die Partita in d-Moll? Ich spiele den ersten und zweiten Satz, wenn es Ihnen recht ist. «
Sie nickt, faltet die Hände im Schoß und lehnt sich zurück.
Walentin tritt an das Érard-Klavier und klappt den Tastaturdeckel auf. Er spielt das mittlere A.
Das Klavier ist ein wenig verstimmt. Wie das ganze Haus wurde es allem Anschein nach in letzter Zeit vernachlässigt. Schade um das wunderschöne französische Klavier, denkt er. Und was für herrliche Konzerte er in einem solchen Salon geben könnte. Sein Blick fällt auf einen Notenstapel, und er betrachtet ihn aus der Nähe: Es sind Stücke von Glinka. Und er selbst hat sie der Prinzessin Olonowa gegeben. Jetzt erinnert er sich wieder. Er hatte ganz vergessen, dass er ihr an ihrem Namenstag vor langer Zeit diese Noten geschenkt hat. Das oberste Blatt, La Séparation in f-Moll, ist leicht eingerissen und mit verblassten rötlichen Flecken übersät.
» Gräfin « , sagt er und sieht sie an, » Sie haben sie aufgehoben. Die Musiknoten, die ich Ihnen schenkte. «
Sie errötet. » Ja. Ich habe eine solche Freude daran. Als mein Sohn noch kleiner war, habe ich einige der schwierigeren Werke Glinkas für ihn transponiert. Aber jetzt kann er die Originalfassungen mühelos spielen. Sie wissen ja, dass die Schwierigkeit bei Glinka darin besteht, die Stücke immer weiter zu perfektionieren, was ein tiefes Gefühl für ihre Einfachheit und Natürlichkeit erfordert. Mischa hat dieses Stück – die Séparation in f-Moll – gespielt, als … als wir uns zum letzten Mal sahen, bevor … «
Jetzt weiß er, warum das Stück sie so aufwühlte.
» Das tut mir leid, Gräfin « , sagt er und entfernt sich vom Klavier. Er nimmt eine kleine Stimmgabel aus dem Geigenkasten und stimmt damit die A-Saite, indem er den dazugehörigen Wirbel ein winziges Stückchen dreht. Als er mit dem Ergebnis zufrieden ist, stimmt er die anderen drei Saiten. Dann legt er die Geige an die Schulter, schmiegt das Kinn an den Kinnhalter und hebt den Bogen, und schon füllen die Klänge des ersten Satzes die Stille des Raums.
Nachdem Walentin gegangen ist, ruft sich Antonina das Bild seiner nackten Arme und Beine in Erinnerung, als er mit seiner Mutter inmitten der zerwühlten Satinbettwäsche in deren Bett lag. Er hatte wohlgeformte Gliedmaßen, kräftig und zartgliedrig zugleich. Auch jetzt noch, da er älter ist, genau wie sie auch, hat er noch immer etwas Jungenhaftes. Er ist wie ein Vollblutpferd, das auf Geschwindigkeit gezüchtet wurde, denkt Antonina, mit einem starken, geschmeidigen Körper und einer gewissen Verletzlichkeit um die Mundpartie. Er ist das Abbild der gelungenen Verschmelzung von Kraft und Sanftheit.
Anders als Grischa, der Härte und Beherrschung ausstrahlt, beunruhigt er sie nicht. Walentins Gefühle sind ihm ins Gesicht geschrieben, während Grischa … dieser Mann ist und bleibt ihr ein Rätsel.
Sie kann Grischas Meinung über Walentin nicht teilen, der meinte, er habe es an Manieren mangeln lassen, als er auf das Gut kam, ohne zuvor ein Besuchsbillet zu schicken. Im Gegenteil, Antonina findet ihn sehr kultiviert. Sie weiß, dass er sich in seinem früheren Leben als Leibeigenenmusiker die nötigen Umgangsformen aneignete, die es brauchte, um sich unter ein königliches oder adliges Publikum zu mischen, wenn er in deren Salons, Theatern und Ballsälen spielte. Auch ist er gebildet: Hie und da streut er einen französischen Satz ein und erwähnte en passant, dass er zurzeit Mussets » La confession d’un enfant du siècle « lese.
Wenn er spielt, fällt ihm eine hellblonde Locke in die hohe, blasse Stirn. Seine Violine berührt er so sanft wie ein geliebtes Kind. Nein, verbessert sie sich in Gedanken, eher wie eine Geliebte, denn sein Griff ist zugleich zärtlich und beherzt.
Schon wandern ihre Gedanken wieder zu Grischa zurück und die Erinnerung daran, wie mühelos er sie
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