Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
dass die Entführer Kosaken gewesen seien, und Soso war alles, nur kein Kosak.
Aber nach der Sache mit Felja ließ der Gedanke sie nicht mehr los: Die Tatsache, dass die Entführer wie Kosaken gekleidet waren und die typischen Säbel am Gürtel trugen, hieß noch lange nicht, dass sie auch Kosaken waren.
Sie wälzte den Gedanken hin und her. Warum tötete Soso auf so brutale Weise das Pferd, das Grischa abgöttisch liebte? Lilja zerbrach sich den Kopf, warum er Grischa so hart treffen wollte. Und je länger sie über die Worte auf dem Holzbrett nachdachte – Das pasiert du tust nich was wir sagen – , und je länger sie überlegte, ob Soso in die Entführung verwickelt sein könnte, desto mehr reifte der Verdacht in ihr, dass auch Grischa damit zu tun hatte.
Sie musste Soso finden und ihn zur Rede stellen.
Sie handelte unverzüglich. Soso war in gewisser Beziehung gerissen, aber nicht so gerissen wie sie. Sie bat Ljoscha, einen der Orlow-Traber vor einen Pferdekarren zu spannen, und fuhr allein nach Borsik, ein Dorf, das auf halber Strecke zwischen Angelkow und Pskow lag. Borsik war der Ort, wo Sosos Großmutter früher gelebt hatte. Seine Großmutter war schon lange tot, aber er hatte sie sehr geliebt und Lilja oft erzählt, wie gern er sie in ihrer Hütte am Dorfrand besuchte. Nachdem Lilja und er geheiratet hatten, besuchte er noch hin und wieder seine Cousins, die noch in diesem Dorf leben. Er hatte ihr erzählt, er sei dort stets willkommen: Es gebe immer einen Platz zum Schlafen und genügend Wodka für ihn.
Und tatsächlich, kaum fuhr Lilja in das Dorf hinein, entdeckte sie auch schon Soso. In seinem langen Bärenfellmantel schlurfte er vor ihr die Straße entlang. Sie wusste, warum er diesen Mantel so gern trug: Er ließ ihn größer erscheinen. Sie rief nach ihm, und als er sich zu ihr umdrehte, zeichnete sich weder Freude noch Unmut auf seinem Gesicht, sondern einfach nur Überraschung.
» Was machst du denn in Borsik, Lilja? «
» Ich dachte, ich würde dich vielleicht hier finden. Ich muss mit dir reden, Soso. «
» Mach dir keine Mühe. Ich komme nicht nach Angelkow zurück. «
» Darum geht es nicht. Wo wohnst du? «
Soso deutete mit einer Handbewegung auf eine Hütte etwas weiter unten an der Straße. Ein Esel war an der Hauswand angepflockt und hielt den Kopf gesenkt. » Bei Max, meinem Vetter. «
» Lass uns hineingehen, es braucht niemand mitbekommen, was wir zu bereden haben « , sagte Lilja, und er ging voraus zu der Hütte. Er musste den Kopf einziehen, um sich unter dem niedrigen Türstock hindurchzuducken.
Einen Beutel mit Proviant in der Hand blieb Lilja in dem kleinen Raum stehen und warf einen Blick auf das schmutzige Messer und den schmutzigen Löffel, die auf dem Tisch lagen, und den Topf mit den getrockneten Resten von Buchweizengrütze. Ihr Blick glitt weiter zu den Pritschen mit den zerwühlten Decken auf dem Boden. Sie hörte das Rascheln von Kakerlaken in dem schmutzigen Stroh, das man zwischen die Bretter der Wände und des Fußbodens gestopft hatte, um die Zugluft abzuhalten. Der vor der Tür angebundene Esel schrie Iah. » Wohnen nur du und Max hier? «
» Seine Frau pflegt ihre Mutter im Nachbardorf. «
» Heilige Mutter Gottes, was bist du nur für ein Dreckschwein geworden, Soso. «
Er lachte belustigt, als hätte sie ihm ein Kompliment gemacht.
» Ich habe dir etwas mitgebracht. « Sie zog die Wodkaflasche aus dem Beutel, die sie aus dem Keller in Angelkow gestohlen hatte. » Und hier ist Brot und Wurst. Und gesalzene Milchreizker. « Soso liebte es, diese Pilze zum Wodka zu essen. » Setz dich « , sagte sie, und er warf seinen Mantel auf den Boden und ließ sich auf eine Bank an der Längsseite des Tisches sinken. Sie setzte sich ihm gegenüber, wischte das Messer an ihrem Rock ab und schnitt die Wurst in Stücke, um sie dann zwischen zwei dicke Scheiben von Raisas frisch gebackenem Brot zu legen. Zusammen mit dem geöffneten Glas mit Pilzen reichte sie die Stulle Soso. Dann entkorkte sie mit den Zähnen den Wodka und schob die Flasche zu ihm über den Tisch. Er sah sie an und lächelte.
» Was willst du? « , fragte er und nahm einen kräftigen Bissen von dem Brot.
» Ich vermisse dich, Soso. Es ist kalt im Bett ohne dich « , sagte sie und sah ihm dann schweigend beim Essen zu. Er wandte sich kurz ab, um auf den Boden zu spucken. Sie nahm einen Schluck Wodka, den Rest konnte er trinken. Sie hatte Zeit.
Als die Flasche leer war und die Pilze aufgegessen
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