Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
hebt sie es an die Lippen und küsst es. » Einmal habe ich ein Lebenszeichen von ihm bekommen, einen Beweis, dass er noch lebte. Aber das ist ein paar Monate her. Ich glaube, dass er immer noch lebt, Walentin. Ich wüsste es, wenn er nicht mehr auf dieser Welt wäre. Aber bis ich ihn wiedersehe … « Sie dreht sich wieder zu ihm hin.
Eine Weile stehen sie schweigend da, noch immer in dem Abstand, den Antonina zwischen ihnen geschaffen hat.
Walentin erkennt, dass seine Bemühungen vergeblich waren. Sie wird nicht schwach. Aber gewiss wird es wieder eine andere Frau geben, eine, die nicht so unbeugsam ist wie Gräfin Mitlowskaja. » Ich glaube, ich muss Sie jetzt verlassen, Antonina « , sagt er.
Sie gehen zusammen auf die Veranda. Antonina hält die Hunde an den Halsbändern, damit sie ruhig sind.
» Es tut mir wirklich leid, in welche missliche Lage Sie meinetwegen geraten sind « , sagt Antonina. » Werden Sie bald nach Sankt Petersburg abreisen? «
» Ja. Es gibt für mich keinen Grund mehr, länger zu bleiben. Oder doch? «
» Danke, Walentin Wladimirowitsch « , antwortet sie nur.
» Wofür danken Sie mir? «
» Für Ihre Freundschaft. « Schließlich tritt sie doch ein wenig näher und lässt es zu, dass er sie umarmt, wenngleich nur für einen Moment.
Es ist zu spät und würde ohnehin zu nichts führen, das weiß er. Er lässt die Arme sinken, steigt die Stufen hinab, geht zu seinem Pferd und sitzt auf. Ehe er in den Schatten der Alleebäume taucht, dreht er sich noch einmal um und winkt ihr zu.
Lilja steht am Fenster auf dem dunklen Treppenabsatz und beobachtet die Szene.
Am nächsten Morgen erscheint Lilja wie immer mit dem Frühstückstablett in Antoninas Zimmer. Noch im Nachthemd sitzt Antonina bereits vor dem Kamin und liest. Ihr Haar ist zerzaust.
Antoninas hauchdünnes Spitzenunterkleid liegt nachlässig über dem Bett. Lilja stellt sich vor, wie Kropotkin es ihr am Abend zuvor im Musiksalon abgestreift hat. » In der Küche gibt es ein Problem, Tosja. Raisa hat Mäusekot im Mehl gefunden. Sie ist in heller Aufregung. Das Mehl muss den Winter über reichen. «
Antonina lässt ihr Buch sinken. » Was tut man in einem solchen Fall? «
» Man kann Mäusefallen aufstellen. Oder wir sperren eine der Scheunenkatzen nachts in die Speisekammer. «
» Nun, warum tut man das nicht? «
» Raisa möchte mit dir darüber reden. Sie will keine Katze ins Haus bringen, ohne dich vorher zu fragen. « Lilja sieht, dass Antonina die obersten Knöpfe ihres Morgenmantels offen gelassen hat, wobei sie nicht einmal ein Nachthemd darunter trägt. Sie hat Antonina noch nie so nachlässig erlebt.
Antonina seufzt und steht auf. » Gut, dann gehe ich zu ihr. «
Lilja streckt die Hand aus, um die Knöpfe von Antoninas Morgenmantel zuzuknöpfen. Dabei streift sie Antoninas Brust, worauf diese ihre Hand wegschiebt und die offen stehenden Knöpfe selbst zuknöpft.
Als sie das Zimmer verlassen hat, hebt Lilja Antoninas Unterkleid vom Bett. Sie hält es sich ans Gesicht und atmet seinen Duft ein. Als sie sich vorstellt, wie Kropotkin es ihr ausgezogen hat, knüllt sie es wütend zusammen.
Wieder hält sie das zarte Gewebe ans Gesicht und atmet abermals seinen Duft ein. Dann beißt sie mit den Schneidezähnen ein Loch in die Seide, reißt dann das Kleidungsstück langsam entzwei und wirft die beiden Teile ins Feuer. Einen Moment schwelt das Spitzengewebe, dann fängt es Feuer und brennt kurze Zeit lichterloh.
Mit dem Kaminhaken stochert Lilja in dem brennenden Häufchen herum, bis nichts mehr von dem Unterkleid zu sehen ist, dann legt sie den Kaminhaken an seinen Platz zurück und stellt Antoninas Frühstück auf den Tisch. Nichts deutet darauf hin, was sie gerade getan hat, nur die Tasse klirrt verräterisch auf der Untertasse.
Eine halbe Stunde später kommt Lilja unangekündigt zu Grischas Haus und pocht an die Tür.
» Er war bei ihr, Grischa. Allein mit ihr. Im Musiksalon. Sie hat ihn heimlich hereingelassen. Ich habe sie gehört, gehört, was sie getan haben. «
Grischa ist zu schockiert, um etwas zu sagen, bemüht sich aber, vor Lilja nicht die Beherrschung zu verlieren. Er denkt an Walentins Gesichtsausdruck, als dieser sagte: Haben Sie nie etwas für eine Frau empfunden? Als er sich wieder gefangen hat, sagt er ruhig: » Und warum hältst du es für nötig, mir das zu erzählen, Lilja? «
» Dafür zu sorgen, dass die Bakanews ihn entlassen, reicht nicht. Glaubst du wirklich, er wird sie in Ruhe
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