Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Wir können es zusammen einnehmen. «
Antonina steht auf, die Hände zu Fäusten geballt. » Hast du mich nicht verstanden, Lilja? « , schreit sie. » Du sollst mich allein lassen. «
» Ich verstehe. Du willst jetzt nicht frühstücken. Du hast einen Schock erlitten « , sagt Lilja. » Dann bringe ich dir eben später etwas, wenn es dir besser geht. «
Als Lilja endlich ihr Zimmer verlassen hat, kniet Antonina in ihrer Gebetsecke nieder. Ja, sie hat Verderben nach Angelkow gebracht. Alles, was geschehen ist, geschah ihretwegen.
Ich bin unmoralisch und böse, denkt sie. Ich habe meinen Sohn mehr als mein Leben geliebt, und er wurde mir genommen, weil mein Mann ihn nicht in meiner Obhut lassen wollte, in meinem Zustand. Ich bin verantwortlich für den Tod meines Mannes, weil ich in der Nacht, in der er sich eine Lungenentzündung zuzog, mit Grischa im Bett war. Walentin ist gestorben, weil ich mit ihm befreundet war. Und Grischa … wenn stimmt, was Lilja behauptet hat, wird er zum Tode verurteilt werden für den Mord, den er begangen hat, und ich werde auch für seinen Tod verantwortlich sein.
Antonina presst die gefalteten Hände an die Stirn. » Mein Gott « , betet sie laut, » du bist Zeuge meiner Sündhaftigkeit. Ich zerstöre alle, die mir nahekommen. Und das ist der Grund, warum du mir meinen Sohn nicht wiedergibst. Das ist meine Strafe. «
Ihr Mund ist ausgetrocknet, und ihre Hände zittern heftig. Sie wankt durch das Zimmer, nimmt die Wodkaflasche und trinkt. Dann schleudert sie sie ins Feuer. Sie zerbricht, und die Flammen schlagen hell und tosend in die Höhe, um sich kurz darauf zu verzehren.
Sie atmet heftig. Sie muss Buße tun und beten, muss das Böse in sich bekämpfen. Je länger sie auf Angelkow bleibt, desto mehr Zerstörung wird sie ihren Nächsten bringen.
Sie muss allein sein und sich von der Versuchung fernhalten.
Zwanzig Minuten später kommt Lilja mit einem Tablett zurück.
» Ich weiß, du hast gesagt, dass du nichts willst, aber es wird dir besser gehen, wenn du … « Lilja blickt auf die Kleidungsstücke, die auf Antoninas Bett verstreut sind. Eine Reisetasche liegt auf dem Boden. » Was machst du da, Tosja? «
» Ich gehe weg. « Antonina zieht ein Unterkleid aus einer Schublade.
» Weg? Wie meinst du das? «
» Lass Ljoscha Dunja satteln und für sich selbst einen der Araber. «
» Ich habe dich gefragt, wo du hin willst. « Lilja nimmt die Kleidungsstücke auf dem Bett in Augenschein: eine merkwürdige Zusammenstellung. Als hätte Antonina wahllos aus dem Kleiderschrank gezerrt, was ihr gerade in die Hände fiel. Einen Schal, ein Nachthemd. Einen Sommerhut. Was macht sie bloß? » Willst du keine Kleider mitnehmen? Und Schuhe? Du hast keine … «
Antonina lässt sie nicht ausreden. » Das spielt keine Rolle. « Sie setzt sich an den Ankleidetisch und blickt in den Spiegel, aber Lilja hat das Gefühl, als sähe sie ihr Spiegelbild gar nicht.
Lilja stellt das Tablett ab und nimmt in dem lila Samtsessel neben Antonina Platz. » Tosja « , sagt sie und ergreift Antoninas Hand. » Ninotschka. « Sie küsst ihren Handrücken, dann dreht sie die Hand um und küsst die Innenseite. Ihre Lippen sind warm und feucht.
Antonina schaudert.
» Ich weiß, du trauerst um Herrn Kropotkin « , sagt Lilja. » Wenn ich dich doch nur trösten könnte. Aber es besteht überhaupt kein Grund für dich, von hier wegzugehen. Wenn du etwas gegessen hast, wirst du dich … «
Antonina steht auf. » Bring meine Tasche hinunter. «
Als Antonina und Ljoscha bei der Datscha ankommen, liegt eine hauchdünne Schneeschicht auf den hölzernen Eingangsstufen.
Ljoscha trägt ihren Koffer und den Korb mit Lebensmitteln hinein, den Raisa auf die Bitte der Gräfin hin gerichtet hat. Er entzündet aus den wenigen Holzscheiten, die neben dem Kamin liegen, ein Feuer. Dann geht er hinaus zu dem Holzstoß hinter der Datscha, um weiteres Holz zu spalten. Er lässt einen größeren Stapel vor der Tür liegen und bringt einen Armvoll hinein. Außerdem sorgt er dafür, dass die Kiste neben dem Kamin mit Anzündholz gefüllt ist.
Antonina, die ihn beobachtet, denkt, dass er seiner Schwester in keiner Weise ähnlich sieht. Er hat ein offenes, ehrliches Gesicht, während sich Liljas Gesichtszüge verhärtet haben. Alles an ihr wirkt zusammengekniffen, ihre Augen, die Lippen, die Nasenlöcher.
» Sind Sie sicher, dass Sie allein zurechtkommen? Wissen Sie, wie man ein Feuer … «
» Danke, Ljoscha. Du kannst jetzt
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