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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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sie inzwischen so oft gelesen, dass sie fürchtet, die zerknitterten und abgegriffenen Seiten könnten beim Auffalten auseinanderfallen. Sie denkt an die vielen Prüfungen, die ihr auferlegt wurden: Konstantin, Grischa, Walentin. Der Wodka. Und sie hat keine einzige bestanden.
    Das Einzige, worin sie nicht versagt hat, ist eine gute Mutter zu sein.
    Sie kniet nieder und betet, die Blätter an die Brust gepresst: » Ich lege die Beichte vor dir ab, Heiliger Vater. Ich habe viele Sünden begangen und begriffen, dass du mir keine zweite Chance geben willst. Aber ich gelobe dir, dass ich mich bemühen werde, mich zu bessern. Ich werde mich wirklich bemühen. Vielleicht hast du beschlossen, ich hätte es nicht verdient, meinen Sohn zurückzubekommen. Ich war eine unwürdige Ehefrau. Und ich bin eine unwürdige Frau. Ich nehme die Strafe an, die du mir für diese meine Verfehlungen auferlegst. Aber eine unwürdige Mutter bin ich nicht. «
    Sie setzt sich auf die Fersen zurück. Sie hat Durst, ihre Hände zittern zusehends, und ihr Bauch krampft sich zusammen, als kündigte sich ihre Monatsblutung an. Sie geht in die Küche und packt den Korb mit Lebensmitteln aus: eine Wurst, ein Laib Brot, je ein Glas mit Sauerkraut und eingemachten Äpfeln, rohe, ungeschälte Kartoffeln, hart gekochte Eier und mehrere Flaschen Buttermilch. Sie öffnet eine Flasche und führt sie an die Lippen. Sie trinkt und verzieht den Mund, als sie die saure, dickliche Flüssigkeit auf der Zunge schmeckt. Übelkeit steigt in ihr hoch.
    Es ist erst Nachmittag.
    Es ist noch keine vierundzwanzig Stunden her, seit Walentin getötet wurde.
    Grischa war am Morgen erneut auf dem Friedhof. Vor dem schneebedeckten Grabhügel kniete er nieder und betete für seinen Bruder. Er ist von einer tiefen Unruhe getrieben, als müsste er noch mehr tun.
    Er weiß nicht, was stärker an ihm nagt: seine Besorgnis, sein Schuldgefühl oder die Wut.
    Er reitet zu dem Gut der Bakanews, um die Summe abzuholen, die ihm für das Land zusteht, das er dem Prinzen zurückverkauft hat. Der Prinz hat sich über den Handel geärgert und Grischa nur die Hälfte dessen geboten, was er ihm bezahlte, aber Grischa hat keine andere Wahl. Seine Ersparnisse sind dahin und damit die Sicherung seiner Zukunft. Er wird sie gegen Michails Freilassung eintauschen.
    Am späten Nachmittag kehrt er zurück und geht zur Hintertür des Gutshauses; sie ist zum ersten Mal abgeschlossen. Als er klopft, öffnet Lilja die Tür und stellt sich ihm in den Weg.
    Er fragt, wie es der Gräfin geht.
    » Gut « , sagt Lilja.
    » Ich möchte sie sprechen. Möchte mit eigenen Augen sehen, dass es ihr gut geht. Dir traue ich nicht. « Grischa schiebt sich an Lilja vorbei in die Küche. Bald wird er sich nicht mehr mit dieser Frau herumschlagen müssen. Sobald Michail zurück ist und sie ihren Anteil am Lösegeld bekommen hat, wird sie Angelkow verlassen. » Hast du ihr erzählt, dass … « Es ist so schwer für ihn, den Namen seines Bruders auszusprechen. » Hast du es ihr erzählt? Was gestern passiert ist? «
    Lilja blickt sich um, um sicherzugehen, dass sie allein sind. » Du kannst jetzt nicht zu ihr. Hast du das Geld? «
    » Ja. «
    » Gut. Es wird nämlich von Tag zu Tag kälter, und ich weiß nicht, ob Mischa es warm genug hat. «
    » Glaubst du, ich mache mir nicht genauso Sorgen um ihn wie du? «
    » Hast du dir auch schon Sorgen um ihn gemacht, als du bei seiner Entführung geholfen hast? «
    Grischas Kiefermuskeln spannen sich an. » Heute ist es zu spät, aber morgen führst du mich zu Soso, und dann bringen wir Michail Konstantinowitsch zurück. Geh jetzt zu Antonina und sag ihr, dass ich mit ihr sprechen muss. « Er wird ihr nicht sagen, was am nächsten Tag geplant ist, denn er weiß inzwischen, dass immer etwas schiefgehen kann. Aber er will – muss – wissen, wie es ihr geht.
    Lilja weigert sich. » Sie schläft noch. «
    » Wie, sie schläft noch? Es ist später Nachmittag! «
    » Ach, du weißt doch, wie sie in letzter Zeit ist « , sagt Lilja und macht eine Geste, als hebe sie ein unsichtbares Glas an die Lippen. » Ich wecke sie jedenfalls nicht. «
    » Dann also bis morgen früh, Lilja. Morgen früh komme ich wieder, und dann gehen wir zu Soso. «
    Lilja zuckt die Schultern und dreht sich um.
    Um fünf Uhr kämpft Antonina mit einer schrecklichen Übelkeit. Am frühen Abend hält sie sich stöhnend den Unterleib, der von Krämpfen geschüttelt wird, während der Schüttelfrost ihren Körper mit

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