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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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fährt Lilja fort. » Wie sollen wir sonst erklären, dass ein toter Mann mit einer Kugel in der Brust hier liegt? Niemand wird ihn vermissen. Die Bakanews haben ihn entlassen, seine berufliche Zukunft war zerstört. Also würde es doch Sinn machen, dass er in eine andere Provinz gezogen ist, wo niemand von seiner Schande weiß. « Sie spricht schnell und stammelnd, Speichel spritzt aus ihrem Mund. » Und du wirst niemand erzählen, was ich getan habe, Grischa. Wenn du das tust, erzähle ich Antonina, du hättest ihn getötet. Glaubst du, sie würde mich verdächtigen? Glaubst du, sie wusste nicht, was du von ihm gehalten hast? Dass du ihn genauso gehasst hast wie ich? « Ihr Blick schweift wieder zu dem Leichnam. » Genau. Ich erzähle ihr, du hast es getan « , sagt sie erneut.
    » Hör auf, Lilja « , sagt Ljoscha. » Hör auf. «
    Sie beachtet ihn gar nicht. » Außerdem, wenn ich festgenommen werde, wie willst du da Soso finden? «
    Grischa ist mit wenigen Schritten bei ihr und umschließt mit beiden Händen ihren Hals. Er will einfach nur, dass sie still ist, dass sie mit ihrem unerträglichen Geschwätz aufhört.
    Ljoscha greift zum Gewehr. » Grischa, was machst du da? «
    Grischa lockert seinen Griff, und Lilja sagt: » Los, töte mich. Aber dann kannst du es vergessen, den Jungen zu finden. Wenn du mich tötest, tötest du auch Michail Konstantinowitsch. «
    Grischa lässt sie los und weicht zurück.
    » Mein Gott, mein Gott! « , sagt Ljoscha. » Was redest du denn da für ein Zeug, Schwester. Was geht hier in Gottes Namen vor? «
    Grischa fasst sich an die Stirn. » Schaff sie raus, los. «
    Da ist etwas in Grischas Stimme, das Ljoscha mehr Angst macht, als wenn er geschrien hätte.
    » Und lass sie nicht zur Gräfin gehen « , fügt Grischa hinzu, während Ljoscha Liljas Arm umfasst. » Und danach kommst du wieder zurück. «
    In der Nacht heben Ljoscha und Grischa ein Grab auf dem Friedhof hinter der Erlöserkirche aus. Grischa hat einen Platz zwischen ein paar Fichten ausgewählt, wo die frisch umgegrabene Erde kaum jemandem auffallen wird. Die Erde ist hart, aber noch nicht gefroren.
    » Warum hat sie das getan, Grischa? « , frag Ljoscha, während er harte Erdklumpen beiseiteschaufelt. Zwei Lampen, die sie auf den Boden gestellt haben, spenden ihnen bei der Arbeit Licht. Er wirft einen kurzen Blick zu der in ein weißes Tuch gehüllten Leiche auf dem Karren. » Und warum begraben wir ihn? Sollten wir es nicht jemandem sagen? Wenigstens Pater Kirill? «
    Grischa hält beim Schaufeln inne. Das kalte Lampenlicht lässt seine Gesichtsknochen hervortreten. Ein grimmiger Zug liegt um seinen Mund. » Willst du, dass deine Schwester ins Gefängnis kommt, Ljoscha? Dass man sie in eines der Straflager für Frauen in Sibirien schickt, wo sie sich zu Tode schuften muss? «
    » Nein. Aber so ist es auch nicht richtig. Es ist unrecht vor Gott. Wir müssen es der Polizei in Pskow melden. Es war ein Unfall. Das ist doch klar. Lilja hat ihn aus Versehen erschossen. « Wieder schweift sein Blick kurz zu der Leiche auf dem Karren. » Ich werde sagen, ich war’s, Grischa. Ich war jagen und hab ihn aus Versehen erschossen. Ich sage, ich war’s, Grischa. Es war mein Fehler, dass ich das geladene Gewehr hab herumstehen lassen. Ich nehme die Schuld auf mich. «
    Grischa sieht den jungen Mann an, erkennt, was dieser aus Liebe zu seiner Schwester zu tun bereit ist. Er selbst hat diese bedingungslose Zuneigung nie gekannt. Er konnte sie seinem Bruder nicht entgegenbringen; er verriet ihn aus Selbstsucht. So wie er Michail verraten hat – und letztlich auch Antonina –, um sich selbst einen Vorteil zu verschaffen. Ljoscha ist ein besserer Mensch, als er es je sein wird.
    » Würdest du nicht das Gleiche tun? « , fragt Ljoscha, worauf sich Grischa abwenden muss. Er geht zum Karren und hebt vorsichtig Walentins Leichnam heraus. Fast mühelos setzt er ihn behutsam auf der kalten Erde neben dem Grab ab. Er wickelt das Tuch auf und kniet neben ihn, küsst ihn auf die Stirn und macht dann das Kreuzzeichen über ihm.
    Während er seinen toten Bruder betrachtet, trifft die Erkenntnis ihn wie ein Blitz. Sein Vater wollte seinem jüngeren Sohn die Chance auf ein Leben eröffnen, wie es sich ihm in Tschita niemals geboten hätte. Hätte er Kolja – Walentin – noch einmal sehen können, als jungen gut aussehenden, selbstsicheren Mann, als herausragenden Musiker, der so vielen Menschen Freude bereitete, wäre er stolz gewesen. »

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