Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
vermutlich nicht an. Aber ich weiß, dass sie nicht gern gehen wird. «
Nach kurzem Zögern erwidert Grischa: » Denk immer daran, Antonina, gleich, was sie dir erzählt – oder tut –, du bist die Gräfin. Angelkow gehört dir. Du bist diejenige, die über dein Land und dein Leben entscheidet. Und nicht Lilja. «
Lilja hört ein Wiehern und rennt zur Haustür. Als sie sie aufreißt, beobachtet sie, wie sich Grischa aus dem Sattel schwingt und dann Antonina beim Absitzen hilft. Ihr entgeht nicht, wie sich Antonina an ihm festhält. Antonina kann Grischas Ausdruck nicht sehen, wohl aber Lilja. Sie vermutet, dass die beiden nicht nur das Pferd auf dem Nachhauseritt geteilt haben, sondern noch andere Dinge. Nein, denkt sie, guter Gott, nein. Lass es nicht erneut geschehen sein.
Lilja trägt wieder Antoninas Nachmittagskleid. Sie verschränkt die Arme vor der Brust und wiegt leicht den Oberkörper vor und zurück, während Grischa den Arm um Antoninas Rücken legt und mit ihr auf die Veranda zugeht.
Antonina hat Mantel und Hut ausgezogen und lehnt sich jetzt gegen einen Kissenberg im Bett, eine leichte Decke auf den Beinen. Als Lilja durch die offen stehende Tür hereinkommt, sitzt Grischa auf der Bettkante und hält ihre Hand. Sie hat auf ihrem Beobachtungsposten, wo niemand sie sehen konnte, gewartet, bis sie nach oben gegangen sind.
» Du kannst jetzt gehen, Grischa, ich kümmere mich um sie « , sagt sie, während sie in der Tür stehen bleibt. Sie haben sich nicht einmal die Mühe gemacht, sie zuzumachen, sondern sie offen gelassen, als hätten sie nichts zu verbergen, als gäbe es nichts, dessen sie sich schämen müssten. Als sie sieht, wie Antoninas Hand Grischas umschließt, krampft sich ihr Magen zusammen. Sie bemerkt, dass Antoninas Kleid fleckig ist, und ihr Haar … ihr Haar ist aufgelöst und fällt ungehindert bis zur ihren Hüften hinab. Noch nie hat sich Antonina vor jemandem mit offenem Haar gezeigt. Sogar als Konstantin bei ihrer Niederkunft draußen wartete, um ins Schlafzimmer gelassen zu werden und seinen Sohn zu sehen, bestand Antonina darauf, dass Lilja ihr zuerst die Haare hochsteckte, bevor er hereinkommen durfte.
Antonina hat ihren Mann nie ihr offenes Haar sehen lassen. Nur Lilja hat es in seiner ganzen Pracht erblickt. Ihr Magen krampft sich noch mehr zusammen, und ein saurer Geschmack steigt in ihrer Kehle hoch. » Geh, Grischa « , sagt sie, lauter diesmal. » Ich weiß am besten, was die Gräfin jetzt braucht. «
» Nein « , erwidert Antonina. » Ich will, dass Grischa bleibt. Er wird Mischa zurückholen, Lilja, vielleicht schon morgen. Lass uns allein; mir geht es gut. «
Als Lilja keine Anstalten macht, ihren Platz in der Tür zu verlassen, mustert Antonina sie erstaunt.
» Warum trägst du ein Kleid von mir, Lilja? « , fragt sie mit gerunzelter Stirn. Als Lilja nicht antwortet, schüttelt sie den Kopf und fügt hinzu: » Geh und zieh dir etwas von deinen eigenen Sachen an, und bring mein Kleid in die Waschküche. Also, ich muss schon sagen, Lilja. Los, geh jetzt. «
» Na gut, Tosja « , sagt Lilja schließlich. Doch ehe sie sich zum Gehen wendet, starrt sie Grischa an. Noch sind wir aufeinander angewiesen, denkt sie. Aber warte nur. Wenn du wüsstest, was dir bald zustoßen wird …
Lilja wartet in einer dunklen Ecke des Flurs im ersten Stock, bis sie hört, wie sich Grischas Schritte die Treppe hinunter entfernen. Es ist nach acht Uhr. Die Haustür fällt ins Schloss. Er ist so dreist geworden, dass er sich nicht einmal mehr die Mühe macht, den Hintereingang durch die Küche zu benutzen, denkt sie.
Sie betritt Antoninas Zimmer. Eine Lampe verströmt sanftes Licht, und im Kamin knistert ein behagliches Feuer. Antonina schläft tief. Lilja zieht ihre Stiefel aus, dann den Gürtel mit dem Schlüsselbund und Antoninas Kleid und legt beides auf das Fußende des Betts. Sie legt sich in ihrem Baumwollunterkleid mit dem Gesicht zu ihr neben Antonina. Als die Matratze unter ihrem Gewicht nachgibt, bewegt sich Antonina, streckt die Hand aus und berührt Liljas nackten Arm.
Lilja hält den Atem an. Sie sieht, wie sich Antoninas Lippen zu einem Lächeln verziehen. » Bist du noch da, Grischa? « , murmelt sie.
Grischa war bei Antonina geblieben, hatte sie in seinen Armen gehalten, bis sie in einen tiefen Schlaf fiel. Lilja hat es durch die offene Tür von ihrem Beobachtungsposten im Flur gesehen.
Antoninas Lider flattern, bleiben aber geschlossen. Das Lächeln erlischt, und
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