Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
tot. Was ihn keineswegs wundert. Er fragt sich nur, was genau sie ihr erzählt hat. » Aber wie kommst du darauf, dass mehr zwischen uns gewesen sein könnte? «
» Weil Lilja … « Er unterbricht sich. » Ah « , sagt er unwillkürlich, während es ihm allmählich dämmert. Er denkt an den Grabhügel hinter den Fichten. Sobald alles vorbei ist – alles ans Licht gekommen ist –, wird er einen Grabstein errichten. Dann wird er seinen Bruder richtig bestatten, wie er es verdient hat. » Ja. Der arme Walentin. « Mehr sagt er nicht, aber der merkwürdige Ton in seiner Stimme lässt Antonina aufhorchen.
» Aber … du hast ihm doch nichts angetan? Du warst es doch nicht, oder? Lilja hat gesagt … «
Grischa starrt in die Flammen. » Natürlich habe ich ihm nichts angetan. Warum sollte ich? Du darfst Lilja nichts glauben, Antonina. Sie verfolgt ihre eigenen Ziele, und um uns gegeneinander aufzubringen, erfindet sie lauter Lügen. «
» Dann war es also einfach nur Raubmord? Ein schreckliches Verbrechen, wie sie mir erzählt hat? Aber jedenfalls wollte Walentin mich besuchen, als es geschah « , sagt sie, ohne seine Antwort abzuwarten. » Wenn er nicht gekommen wäre, um mich zu sehen, wäre er nicht ermordet worden. «
» Er ist nicht wegen dir nach Angelkow gekommen, Antonina. « Die Flammen sind pulsierendes Gold. Grischa wirkt abwesend, als horchte er, als lauschte er einer entfernten Melodie in der stillen Datscha.
Antonina runzelt die Stirn. » Doch, er wollte mich besuchen. Und das werde ich mir nie verzeihen. «
Grischa sieht sie wieder an. » Du darfst dich nicht für Walentins Tod schuldig fühlen, Antonina. Du hast dir nichts vorzuwerfen, glaub mir. «
» Aber verstehst du denn nicht? Ich bin schuldig. Alle schrecklichen Dinge, die auf Angelkow geschehen sind, sind meine Schuld. Alles. Jeder Mann, der mir nahekommt, wird bestraft. Konstantin. Walentin. Sogar mein Sohn. Es ist, weil … wenn ich trinke, bin ich nicht ich selbst. Und dann passieren schlimme Dinge. «
Grischa schließt die Augen.
» Deshalb habe ich mich in diese Datscha zurückgezogen. Um allein zu sein, um für meine Lasterhaftigkeit Sühne zu tun. «
» Glaubst du, es war auch lasterhaft von dir, als du letztes Mal mit mir hier warst? Willst du damit sagen, es war schlecht, dass wir uns geliebt haben? «
» Es war Ehebruch. « Sie schweigt einen Moment. » Und dennoch hat es sich richtig angefühlt, Grischa. Es hat sich gut angefühlt. Es hat sich so gut angefühlt, dass ich es wieder tun wollte. «
» Und jetzt? «
» Wenn ich es von Neuem tue, wird dir etwas zustoßen. Wenn ich zulasse, dass du mich berührst, Grischa, wirst du von mir vergiftet. «
Er will ihr so gern sagen, dass nichts davon ihre Schuld ist. Die Entführung wäre so oder so geschehen: wenn nicht an jenem Tag, dann an einem anderen. Soso und seine Kumpane hatten alle Zeit der Welt. Walentin kam nach Angelkow, weil Grischa ihm einen Brief geschrieben und ihn dazu aufgefordert hatte. Es hatte nichts mit Antonina zu tun. Aber wie soll er ihr davon erzählen, ohne ihr zu verraten, dass er auch in die Entführung verwickelt war? Ohne ihr zu verraten, dass Walentin sein Bruder war?
» Ich finde, du solltest dir endlich verzeihen. Hör auf, dir länger die Schuld für all das zu geben, was geschehen ist, Antonina. Du bist eine wunderbare Frau. Ein wunderbarer Mensch. « Mehr kann er nicht sagen.
Einen Moment lang schweigt sie. » Hast du je etwas getan, was dir keine Ruhe mehr ließ, etwas, wovon du dir wünschtest, du hättest es nicht getan? «
» Ja. « Seine Stimme ist leise. » Das habe ich. «
» Etwas, das du nicht mehr rückgängig machen konntest? «
Er nickt.
» Und – hast du dir verziehen? «
Er beschwört Walentins Gesicht herauf, sein Worte. Du bist tatsächlich gekommen, so wie ich es geträumt habe. Ich wusste, du würdest mich suchen kommen. » Nein. Ich konnte mir nicht verzeihen. «
» Vielleicht noch nicht? « , fragt sie. » Oder wirst du es niemals können? «
Zum ungezählten Mal sieht er Michails Gesicht vor seinem geistigen Auge, seinen angstvollen Ausdruck, als er auf die Lichtung geritten kam – mit dem Lösegeld. Es verfolgt ihn, dieses schmale, blasse Gesicht, das Antoninas so ähnelt. Und wieder erinnert er sich an das Gesicht seines kleinen Bruders, der ihn verängstigt und voller Panik aus dem offenen Pferdewagen anstarrte.
Er hat zwei kleinen Jungen, die ihm vorbehaltlos vertrauten, das Gleiche angetan: Er hat beide
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