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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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verraten.
    Für einen ist es nun zu spät, aber er kann noch immer dafür sorgen, dass es für den anderen gut ausgeht.
    Er steht auf, geht zu seiner Jacke und langt in die Tasche.
    Dann kommt er mit Michails letztem Brief – dem, den Lilja von Soso hat – zurück und reicht ihn ihr. Er hat Lilja gezwungen, ihn ihr auszuhändigen. Er schämt sich, dass er Gewalt anwenden, ihr das Handgelenk umdrehen musste, bis sie aufschrie und stammelte: Ja, ist ja gut, lass mich los. Ich gebe ihn dir. Aber er hatte keine andere Wahl, denn er wusste, er würde etwas brauchen, um Antonina Hoffnung zu machen. Damit sie ihm glaubt, wenn er ihr sagt, dass er ihr ihren Sohn zurückbringen wird.
    » Was ist das? « , fragt sie und blickt auf das gefaltete Blatt in Grischas Hand. Aber sie weiß, was es ist. Ihr Gesichtsausdruck sagt ihm, dass sie es weiß. Sie hat das Blatt mit ihrer handschriftlichen Notierung eines Glinka-Stücks längst erkannt. Dieses Blatt ist nicht so zerknittert wie die anderen, es scheint neueren Datums zu sein.
    Sie ergreift es. Sie zittert wieder, aber diesmal kommt es nicht davon, dass ihr Körper nach Alkohol lechzt, den sie ihm verweigert. Diesmal kommt es von der Angst gepaart mit Hoffnung.
    » Lies, Tosja « , sagt Grischa. » Die Nachricht ist erst vor Kurzem angekommen. « Er hofft, dass sie ihn nicht fragt, auf welchem Weg.
    Zögernd faltet Antonina das Blatt langsam auf. » Mama, ich vermisse dich schrecklich. Sie haben mir gesagt, dass Papa tot ist « , liest sie laut vor und nimmt einen tiefen Atemzug. » Ich bin traurig. Ich bete jeden Tag. « Sie zupft nervös die Hautfetzchen von ihrer geschunden Unterlippe. Grischa würde am liebsten ihre Hand wegziehen, um sie daran zu hindern. » Ich habe immer noch die übrigen Notenblätter. Bitte heb das hier für mich auf, bis ich zu dir zurückkehre, liebe Mamuschka. Dann werde ich auf dich aufpassen. Mischa. «
    Sie schaut von dem Blatt auf und sieht Grischa an; Tränen schimmern in ihren Augen. » Ist das wirklich wahr, Grischa? Wird Gott mir vergeben? Hat er ein Einsehen mit mir, weiß er, wie ernst es mir ist, dass ich mich wirklich ändern will? Und will mich jetzt schon belohnen? « Der vom Kirchendach gefallene Engel kommt ihr wieder in den Sinn. » Kann es sein, dass er mich genug liebt, um mir diese Gnade zu erweisen? «
    Grischa will nichts von Gott hören. In seinen Augen hat Gott mit den bösen Taten der Menschen nichts zu schaffen. Nicht mit solchen, wie er selbst sie begangen hat. » Ich werde Mischa zu dir zurückbringen, Tosja. In den nächsten Tagen werde ich erfahren, wo er ist. Und dann bringe ich dir deinen Sohn zurück.«
    Antonina kann ihre Tränen nicht länger zurückhalten. » Grischa, oh Grischa, mach, dass es wahr ist, dass es Wirklichkeit wird. Sag mir, dass ich nicht träume. «
    Er zieht sie in seine Arme. » Du träumst nicht, Tosja, du bist hellwach. Du spürst meine Arme, oder nicht? « Er hält sie noch fester und streichelt ihr übers Haar.
    Ein paar Augenblicke sitzen sie so da, bis ihre Tränen schließlich versiegen. Sie nimmt einen tiefen, bebenden Atemzug, doch ehe sie den Kopf heben und etwas sagen kann, ergreift er das Wort, die Lippen an ihrem Haar.
    » Ich muss dir etwas sagen, Antonina. Ich werde dir deinen Sohn zurückbringen, aber davor musst du etwas wissen, was äußerst wichtig ist. Ich muss es dir jetzt sagen, damit du nicht das Gefühl hast, mir auf irgendeine Weise dankbar sein zu müssen. « Er hatte nicht vor, an diesem Tag mit ihr darüber zu sprechen. Aber er kann es ihr nicht länger verschweigen und damit eine weitere Sünde begehen. Er kann sich nicht länger selbst vormachen, dass er genug bereut und gelitten hat, um seine eigene Schuld zu tilgen. Er weiß, sobald er die Worte aussprechen wird – Ich bin mitverantwortlich für die Entführung deines Sohnes –, wird sie sich von ihm abwenden und nie wieder etwas mit ihm zu tun haben wollen. Er weiß mit aller Gewissheit, dass sie ihn hassen wird, und ein abgrundtiefes Grauen überkommt ihn, wie er es noch nie zuvor gespürt hat, nicht einmal, als sein Bruder in seinen Armen starb. Er weiß, sobald sie ihren Sohn zurück hat, wird sie ihn womöglich anzeigen, denn das ist ihr gutes Recht. Und dass man ihn hinter Gitter bringen wird, wo man ihn foltert. Oder aber er wird in ein Straflager nach Sibirien verbannt. Möglicherweise wird er sie nie wiedersehen. Das alles weiß er. Aber es macht nichts. Gleich, was auf ihn zukommt, es zählt jetzt

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