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Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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Antoninas Gesicht und Hände mit einem feuchten, warmen Lappen und sorgt dafür, dass sie immer einen Schal um die Schultern und eine Decke auf den Knien hat. Mehrmals am Tag hebt sie Tinka sanft von ihrem Schoß und geht mit ihr nach draußen; sie füttert den Hund und gibt ihm zu trinken und bringt ihn dann zurück.
    Lilja ist nicht nur ihre Kammerzofe, sondern sie ist ihr auch eine Kameradin und Freundin und obendrein Michails njanja, sein Kindermädchen. Seit Antonina nach Angelkow gekommen und Lilja wiedergefunden hat, kümmert Lilja sich um alle Bedürfnisse der Gräfin und liest ihr jeden Wunsch von den Augen ab.
    Antonina spricht kaum etwas, fragt nur hin und wieder: » Haben die Kosaken eine weitere Nachricht geschickt? «
    Niemand macht sich mehr die Mühe, ihr zu antworten. Irgendwann haben sie es aufgegeben, in ihre Richtung zu sehen, wenn sie zum ungezählten Mal ihre Frage stellt.

SIEBEN
    A m Abend in ihrem Schlafzimmer fragt Lilja: » Willst du jetzt dein Laudanum haben, Tosja? «
    Antonina nickt.
    Lilja bringt ihr die Flasche, und Antonina nimmt drei Löffel voll.
    » Und ein Glas Wein « , sagt sie.
    » Wenn du Laudanum nimmst, brauchst du keinen Wein. «
    » Doch. «
    Lilja schenkt ihr ein kleines Glas ein. Antonina, die auf der Bettkante sitzt, trinkt es aus und reicht es ihrer Zofe zurück.
    Dann hilft Lilja Antonina, sich auszuziehen, ehe sie ihr ein Nachthemd über den Kopf streift und die zahlreichen winzigen Knöpfe zuknöpft. Nachdem Antonina sich zwischen die frischen Laken gelegt hat, dreht sie die Lampendochte zurück, sodass im Zimmer nur noch ein schummriges Licht herrscht. Sie öffnet das hohe Fenster einen Spaltbreit und lässt die frische Frühlingsbrise herein, die die Vorhänge bauscht. Antonina spürt die Nachtluft auf dem Gesicht.
    Ob Michail jetzt ebenfalls die Frühlingsluft spürt?, denkt sie. Ob er ein sauberes Bett hat?
    Sie blickt auf das Tagebuch auf ihrem Nachttisch. Eigentlich hatte sie nicht in Michails Zimmer gehen wollen, irgendwie hatte sie das Gefühl, wenn sie alles so ließe, wie es war, würde er schneller wieder nach Hause kommen. Aber an diesem Nachmittag hat sie es in Konstantins Zimmer, das von hektischem Geflüster und unangenehmen Gerüchen erfüllt war, nicht mehr ausgehalten. Mit einem Mal wollte – musste – sie Michails persönliche Sachen um sich haben.
    Als sie die Tür seines Zimmers öffnete, entwich ein merkwürdiger Laut ihren Lippen, eine Mischung aus einem Stöhnen und hohen Seufzen. Während sie sich am Türrahmen festhielt, betrachtete sie alles – sein Bett und seinen Schrank, das Bücherregal und den Schreibtisch, den Schemel in der Nähe des Kamins, seinen Lieblingsplatz, seine jungenhafte Sammlung von Steinen und die Einweckgläser voller toter Insekten und die Bilder, die er gemalt hatte. Als der Schwindel nachließ, schloss sie die Tür und ging zu seinem Bett. Sie legte sich darauf und barg das Gesicht in seinem Kopfkissen. Doch die Dienstboten hatten die Wäsche gewechselt, und sie roch nur Wäscheseife und Stärke. Sie stand auf und begab sich zu seinem Schrank, wo sie ein paar Kittel und Jacken herauszog. Sie hielt jedes einzelne Kleidungsstück ans Gesicht und weinte. Mit einem Kittel – am Bündchen befand sich ein Tintenklecks, woraus sie schloss, dass er nicht gewaschen worden war – kehrte sie zum Bett zurück. Sie legte sich wieder hin, hielt ihn sich ans Gesicht und atmete tief ein. Endlich nahm sie den Duft ihres Sohnes wahr.
    Nach einer Weile stand sie auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. Mit den Fingern fuhr sie über die Rücken von Michails Schulbüchern und hielt an einem mit Kalbsleder bezogenen Tagebuch inne. Es erinnerte sie an das ledergebundene Notenheft, in das sie schon vor Jahren einige Fugen und Nocturnes von Glinka in vereinfachter Notenfolge für ihn transkribiert hatte. Natürlich beherrschte er inzwischen mit Leichtigkeit die Originalversionen, aber er hatte das Heft aufbewahrt, um seine eigenen Kompositionen darin festzuhalten. Er trug es zusammen mit einem kleinen gespitzten Kohlestift überall mit sich herum, damit, wie er ihr erklärt hatte, er es immer zur Hand hatte, falls ihm eine schöne Melodie durch den Kopf ging. Mit einem Mal fiel ihr wieder ein, dass er das Heft vom Klavier genommen hatte, ehe er aus dem Musiksalon gelaufen war. Ob er es noch bei sich trug?
    Sie nahm das kalbsledergebundene Tagebuch und ließ die Finger über den weichen Einband gleiten. Er hatte es letztes Jahr auf

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