Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
wieder bei dir ist. Und du musst deinem Vater erzählen, dass du mich getroffen hast. Sag ihm die Wahrheit; dass der Hund weggelaufen ist. «
Lilja schüttelte den Kopf. » Ich kann meinem Vater nicht erzählen, dass wir uns gesehen haben. Oder dass wir miteinander reden. «
» Aber wenn du ihm sagst, was geschehen ist, wird er nicht mehr böse auf dich sein. «
Lilja nahm den Arm von Antoninas Schultern. Sie stand auf und sah zu ihr hinab. » Antonina Leonidowna « , sagte sie, und bei dem Ton, mit dem sie ihren Namen sagte, wurde Antonina bang ums Herz. Sie stand ebenfalls auf und sah Lilja an.
» Mein Vater hat sich schon wieder beruhigt « , sagte Lilja. » Und ich … habe die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, sehr genossen. Manchmal denke ich, dass es nur ein Traum war. Wie kann es sein, dass du tatsächlich mit … « Sie unterbrach sich.
Antonina wartete, dass sie fortfuhr. Sie wusste, was Lilja sagen wollte, hatte aber selbst keine Erklärung.
» Du hast meinen Vater ja gesehen « , sagte Lilja schließlich. » Er würde nie verstehen, dass du mich zur Freundin haben möchtest. Ich kann es ja selbst nicht verstehen, Tosja. Du und ich als Freundinnen – das ist wider die natürliche Ordnung der Dinge, wie Gott sie verfügt hat. Wenn ich versuchen würde, es zu erklären, würde ich meinen Vater nur verwirren und ihn von Neuem erzürnen. Nein, ich darf dich nicht mehr treffen. Dies ist das letzte Mal, dass wir uns sehen. Außerdem ist es kälter geworden. Im Winter könnten wir uns sowieso nicht mehr draußen treffen. Und das Risiko wäre einfach zu groß … « Sie langte in ihre Schürzentasche und fischte ein kleines Amulett heraus. » Bitte, nimm das als Erinnerung an mich. «
Antonina ergriff es. Es war ein kleiner primitiver Blechanhänger, der den heiligen Nikolaus darstellte. Antonina wusste zwar nicht, wie Lilja dazu gekommen war, war sich jedoch sicher, dass es das einzige Schmuckstück war, das das Mädchen besaß. Und wie schwer es ihr fallen musste, sich davon zu trennen. Wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen. » Danke, Lilja Petrowna « , sagte sie. » Ich werde es immer behalten. « Sie zog einen kleinen Ring, ein einfaches Goldband, das ein zierlicher Granat schmückte, von ihrem Finger. » Und du musst das hier als Andenken von mir nehmen. «
Lilja betrachtete den Ring, sog scharf den Atem ein und schüttelte dann energisch den Kopf. » Das kann ich nicht, Antonina « , sagte sie. » Nicht auszudenken, wenn mein Vater ihn entdecken würde … Danke, aber ich kann ihn nicht annehmen. «
Antonina hatte verstanden. Sie steckte den Ring wieder an ihren Finger. » Gibst du Sesja einen Kuss von mir? « Als Lilja nickte, sagte sie: » Es tut mir schrecklich leid, was dir widerfahren ist. Und ich bedaure sehr, dass wir nicht länger Freundinnen sein können. Aber eines Tages vielleicht, wenn genug Zeit vergangen ist, werden wir … «
Lilja schüttelte erneut den Kopf. Sie trat auf Antonina zu und schlang die Arme um ihren Nacken. Sie presste ihre Brust fest gegen Antoninas und legte die Wange an ihre. » Auf Wiedersehen, Antonina Leonidowna « , sagte sie im Flüsterton.
Antonina umarmte sie ebenfalls. Eine Weile standen sie so da, dann küsste Lilja Antonina zärtlich auf beide Wangen. Antonina bog den Kopf zurück und sah Lilja eindringlich in die Augen. Da küsste Lilja Antonina erneut, diesmal senkte sie die Lippen zärtlich auf ihren Mund. Einen gedehnten Augenblick lang ruhten ihre Lippen warm und weich aufeinander. Dann wandte sich Lilja abrupt um und rannte davon, ihr flatterndes Kopftuch ein heller Farbklecks zwischen den kahlen Birken.
Liljas Kuss ließ Antonina mit einem merkwürdigen flauen Gefühl zurück. Lange stand sie reglos da und dachte nach. Dann blickte sie auf das Amulett in ihrer Hand hinab. Sie drehte es um. Auf der Rückseite war eine winzige Zahl eingraviert: 962. Sie wickelte es sorgfältig in ihr Taschentuch, steckte es unter ihren Rockbund und saß auf, um nach Hause zu reiten.
Dort ging sie geradewegs zur Gutsschmiede und bat den Schmied, ein Loch in das Amulett zu bohren. Anschließend fädelte sie es auf ihr Halskettchen.
Bevor sie sich an diesem Abend schlafen legte, küsste Antonina es ebenso wie ihren Kruzifix. Sie rief sich das Gefühl von Liljas Lippen auf ihren in Erinnerung. Der Gedanke, sie nie wiederzusehen, war ihr unerträglich.
ELF
A ntonina vermisste Lilja. Dieses Mädchen war zu einem Teil ihres Lebens geworden, und sie sehnte
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