Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
Landauer, auf dem das Familienwappen prangte, wartete auf ihn, der Kutscher saß auf dem Kutschbock.
» Er ist tot, Papa! « , rief Antonina, während sie auf ihn zulief. » Siehst du, siehst du? Du hast mir befohlen, ihn in den Stall zu bringen, und nun ist er tot. « Sie trommelte mit den Fäusten gegen seine Brust. » Ich hab’s dir doch gesagt. Ich habe dir gesagt, dass er noch zu klein dafür ist. «
Ihr Vater packte ihre Hände und hielt sie fest. » Hör damit auf! « , rief er. » Hör sofort auf. Was ist denn das für ein Benehmen? « Er beugte sich zu ihr hinab und sprach mit leiser, aber harscher Stimme weiter. » Sämtliche Diener können dich sehen. Hast du kein Schamgefühl? « Er umklammerte ihre Handgelenke. » Da du dich offensichtlich nicht deinem Rang gemäß benehmen kannst, gehst du jetzt sofort auf dein Zimmer. «
Antonina, der die Tränen über die Wangen liefen, sah ihren Vater an.
» Los, geh auf dein Zimmer « , wiederholte der Vater sehr leise. » Warte dort, bis ich zurück bin. Ich werde den ganzen Tag wegbleiben, und wage es nicht, es vor meiner Rückkehr zu verlassen. Hast du mich verstanden? «
Antonina, die durch den Tränenschleier hindurch nichts sehen konnte, nickte. » Ja, ich habe verstanden « , erwiderte sie schluchzend. » Aber du nicht. Du begreifst nicht, was du getan hast. «
» Ich begreife eines « , sagte der Prinz. » Dass ich eine sture und uneinsichtige Tochter habe, die keinerlei Willen zeigt, sich wie eine wohlerzogene junge Dame zu benehmen. Du enttäuschst mich immer wieder aufs Neue, Antonina. Nun geh hinein. Wenn ich zurück bin, sehen wir weiter. « Er ließ ihre Handgelenke frei und wandte sich von ihr ab. Ein Lakai, dessen Gesicht völlig reglos war, hielt ihm den Wagenschlag auf.
Ohne sich ein einziges Mal umzublicken, stieg Prinz Olonow in die Kutsche, und der Lakai schloss die Tür. Als der Landauer zum Hof hinausfuhr, setzte ein eisiger Regen ein, der sich binnen weniger Minuten in Graupel verwandelte. Eine Weile stand Antonina noch da und beobachtete weinend, wie sich die Kutsche mit ihrem Vater entfernte.
Antonina wusste nicht, wie sie es Lilja sagen sollte. Am Sonntag nach der Kirche begab sie sich nicht zu ihrem gewohnten Treffpunkt im Wald.
Aber sie wusste, dass sie sich nicht ewig würde davor drücken können. Es war nicht fair gegenüber Lilja, wenn sie einfach wegblieb. Am darauffolgenden Sonntag, dem ersten November, brachte ungewöhnlich warmes Wetter den ersten Schnee wieder zum Schmelzen. Antonina ritt langsam in den Wald, wie immer gefolgt von Semjon und Kescha.
Lilja war schon da. Antonina saß ab und ging auf sie zu.
Lilja kam ihr lächelnd entgegen. Über ihren Kiefer zog sich eine mit Schorf verkrustete Schramme, am Hals hatte sie eine gelbliche Quetschung, und ein Augenlid war lila verfärbt.
» Lilja « , sagte Antonina, » was ist geschehen? «
Lilja lächelte schief. » Das kommt, weil ich so ungeschickt bin. Ich habe meiner Mutter geholfen, Holz vom Karren zu laden, und bin hinuntergefallen. «
Antonina nahm die Verletzungen des Mädchens in Augenschein. » Tut dein Gesicht weh? «
» Nein. Es ist ja fast schon verheilt. «
Antonina langte in die Satteltasche und zog eine Stofftasche heraus. » Ich habe dir ein Glas Erdbeermarmelade mitgebracht. «
Lilja nahm das Glas und öffnete es. Sie tunkte zwei Finger hinein und leckte sie ab. » Hm. Schmeckt köstlich. Ich werde sie später mit Ljoscha essen. Danke, Tosja. «
Antonina dachte die ganze Zeit nur an Sesja und fragte sich, wie sie es Lilja sagen sollte. Diese hatte sich noch nicht nach dem Welpen erkundigt. » Ist sein Husten wieder schlimmer geworden? «
Lilja nickte. » Im Sommer war er weg, aber sobald es kalt wird, ist er wieder da. Meine Mutter macht ihm jeden Abend Brustwickel, aber er hat trotzdem die ganze Nacht gehustet. Ich habe letzten Sonntag auf dich gewartet. Ich habe dich vermisst. «
» Ich konnte nicht kommen, tut mir leid. « Antonina ging zu dem umgestürzten Baum. » Komm, wir setzen uns hierhin, ich muss mit dir reden. Über Sesja « , fügte sie hinzu. Sie brachte ein Lächeln zustande, aber es kostete sie so viel Mühe, dass ihr der Kiefer wehtat, als wäre er ebenfalls geprellt.
Lilja musterte Antonina schweigend, als ahnte sie etwas.
» Nun, ich kann dir sagen, dass er wirklich sehr gelehrig ist « , sagte Antonina. » Er hat noch mehr Kunststücke gelernt. Gestern zum Beispiel hat er sich zum ersten Mal auf den Hinterpfoten um die
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