Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
eigene Achse gedreht. Dabei hält er die Vorderpfoten so anmutig hoch und macht eine Pirouette wie eine Ballerina. Sogar mein Kammermädchen klatscht vor Freude in die Hände, wenn sie ihn so sieht. «
» Aber, Antonina « , sagte Lilja, » ich … «
Antonina ließ sie erst gar nicht ausreden. » Habe ich dir schon gesagt, dass er auf einem Samtkissen am Fuß meines Bettes schläft? Oh Lilja, du solltest ihn sehen. Er sieht aus wie ein kleiner Prinz, so hübsch und stolz. «
Lilja hatte sie die ganze Zeit angesehen, und plötzlich machte die Veränderung ihres Gesichtsausdrucks Antonina stutzig. » Was ist, Lilja? «
» Antonina Leonidowna. « Lilja blickte jetzt auf ihre Hände in ihrem Schoß, die noch immer die Stofftasche mit dem Marmeladenglas umklammerten, als wäre sie verlegen. » Vor etwas mehr als einer Woche ist Sesja ins Dorf zurückgekommen. «
Antonina entfuhr ein kleiner Schrei. » Er lebt also? « , sagte sie im Flüsterton. » Sesja lebt? Geht es ihm gut? Oh Lilja, ist alles in Ordnung mit ihm? «
» Er muss ein paar Tage lang im Wald herumgelaufen sein, bevor er nach Hause zurückgefunden hat; er war furchtbar dünn und schmutzig, und seine kleinen Pfoten waren voller Schrammen. Als ich im Bett lag, hab ich ihn draußen jaulen gehört. Da habe ich ihn hereingebracht und ihn gewaschen. Jetzt geht es ihm wieder gut, Antonina. Mein Vater hat mich bestraft. Er hat gedacht, der Hund wäre unartig gewesen und du hättest dich über ihn geärgert und ihn deswegen vor die Tür gesetzt. Aber ich konnte nicht glauben, dass du Sesja nicht wolltest. Ich dachte mir schon, dass er weggelaufen ist. «
» Dein Vater hat dich bestraft, weil Sesja zu dir zurückgelaufen ist? « , fragte Antonina ungläubig und musterte erneut die Blutergüsse an Liljas Hals, Kiefer und Auge. » Du bist also gar nicht vom Karren gefallen. «
Lilja wich noch immer ihrem Blick aus.
Antonina betrachtete Liljas gesenkten Kopf und nahm dann ihr Gesicht in ihre Hände. Ihr war vor lauter Scham und Sorge ganz heiß geworden.
» Antonina Leonidowna « , sagte Lilja, » bitte, sei nicht böse mit mir. «
Antonina hob den Kopf. » Ich – ich soll dir böse sein? Nein. Im Gegenteil, mir tut es leid, dass ich dich wegen Sesja angelogen habe. Ich bin so glücklich, so erleichtert, dass er am Leben ist. Ich habe es einfach nicht über mich gebracht, dir zu erzählen … Ich durfte ihn nicht im Haus behalten. Mein Vater bestand darauf, dass ich ihn in den Stall brachte. Aber ich bin jeden Tag zu ihm gegangen, Lilja. Ich habe ihn gefüttert und gebürstet und viel mit ihm gespielt. Doch nach ein paar Tagen sagte mir der Stallmeister, einer der Wachhunde habe ihn totgebissen. Er hat mir tatsächlich erzählt, er sei getötet worden, Lilja. Ich war so traurig. Nicht nur wegen des armen Sesja, sondern vor allem wegen dir; ich wusste nicht, wie ich es dir sagen sollte. Ich habe es einfach nicht übers Herz gebracht, Lilja, und das ist auch der Grund, warum ich letzten Sonntag nicht gekommen bin. « Borja hatte sie also angelogen, weil er ihr nicht hatte sagen wollte, dass er nicht wusste, wo der Hund war; vielleicht hatte er auch gedacht, sie würde aufhören, ihm lästig zu fallen, wenn er ihr sagte, dass er tot sei. Oder aber ihr Vater hatte ihm befohlen, ihn loszuwerden. Sie würde es nie erfahren.
» Aber, Lilja, vor allem ist es mir unerträglich, dass dich dein Vater wegen mir geschlagen hat. Und ich hasse den Gedanken, dass der kleine Sesja wegen mir leiden musste. Du weißt, dass ich ihn nie und nimmer vor die Tür gesetzt hätte. Du weißt, wie gern ich den Kleinen habe. «
Lilja rückte auf dem Baumstamm etwas näher zu ihr hin und warf einen verstohlenen Blick über die Schulter zurück zu Semjon und Kescha. Die zwei Männer unterhielten sich und rauchten Pfeife, ohne die beiden Mädchen zu beachten. Lilja legte Antonina den Arm um die Schultern. » Weine nicht, Tosja. Bitte. Es ist schon gut. Ich bin froh, dass er wieder bei mir ist. Es macht mir nichts mehr aus, wenn mein Vater mich verprügelt; ich bin es gewohnt. «
Aber Antoninas Tränen wollten einfach nicht versiegen. » Und beim Gedanken an unser Treffen heute war ich so schrecklich feige. Ich wusste einfach nicht, wie ich es dir sagen sollte. «
Liljas Arm lag noch immer um Antoninas Schultern. » Sesja hat uns beiden Kummer gebracht. «
Antonina nickte. » Aber jetzt ist es ja gut. Du hast deinen Hund zurück. Er hat immer zu dir gehört. Ich bin froh, dass er
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