Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
nachzuschenken.
Ein leichtes Zittern erfasste sie, als würde eine kalte Brise durch das offen stehende Fenster wehen. Aber das konnte nicht sein: Es war ein warmer Herbstabend. Allenfalls ein laues Lüftchen ging.
» Und nach dem Frühstück fahren wir nochmals in die Dreifaltigkeitskathedrale. Ich beginne jeden Tag mit einem Gebet, so wie du es gewiss auch hältst, meine Liebe « , sagte er. » Die Erlöserkirche in Polnokowe wird dir bestimmt gefallen. Ich bestehe darauf, dass die Hausleibeigenen an unseren Morgenandachten teilnehmen, ebenso wie unsere Gäste. Es ist wirklich eine sehr hübsche Kapelle. Ihre Buntglasfenster stammen aus Italien. «
Antonina antwortete nicht. Sie hatte immer die Sonntagsgottesdienste auf dem Gut ihres Vaters besucht und vor dem Schlafengehen ein Gebet vor ihren Ikonen gesprochen, aber darin erschöpfte sich ihr Glauben auch schon.
» Nach der Messe werden wir mit der Kutsche in den Park von Pskow fahren und von dort aus dann zum Kloster. Jetzt, im Frühherbst, zeigt sich die Natur in den herrlichsten Farben. Und übermorgen kannst du dann der Schneiderin einen Besuch abstatten. Da wirst du bestimmt nichts dagegen haben. «
» Aber ich brauche nichts Neues « , sagte Antonina.
Konstantin lächelte. » Brauchen? Ich kenne euch Frauen, meine Liebe. Es ist doch keine Frage von Brauchen. Bestimmt wird es dir gefallen, dir ein paar neue Kleider machen zu lassen und vielleicht ein paar Schmuckstücke zu kaufen, bevor wir nach Polnokowe zurückkehren. « Antonina nickte in dem Glauben, es sei am besten, ihm zuzustimmen, jedenfalls was diesen ersten Abend anbelangte. Obwohl sie eigentlich nicht die Absicht hatte, ihren Aufenthalt in Pskow auszudehnen, nur um weitere Anproben über sich ergehen zu lassen.
In den vergangenen Monaten hatte sie schon genug Zeit damit in Sankt Petersburg verbracht, immer in Begleitung ihrer Mutter. Ihr Vater hatte versucht, Galina Maksimowna zu bremsen, ihr erklärt, dass der Graf seine junge Frau gewiss mit einer neuen Garderobe ausstatten werde und es daher nicht nötig sei, noch mehr Geld auszugeben. Wie immer hörte Prinzessin Olonowa nicht auf ihn, sondern ließ unbekümmert Koffer um Koffer mit Kleidern, Hüten und Schuhen und Handschuhen und Mänteln für ihre Tochter füllen. Zum ersten Mal, dachte Antonina, schien ihre Mutter es zu genießen, Zeit mit ihr zu verbringen.
Allein Antoninas neue Nachtgewänder nahmen einen ganzen Reisekoffer in Anspruch. » Aber wenn ich einen anderen Wunsch äußern darf? « , sagte sie zu dem Grafen. » Ich hätte gern einen Hund. « Nach dem unseligen Vorfall mit Sesja hatte sie es nicht mehr gewagt, ihrem Vater gegenüber den Wunsch nach einem eigenen Hund zu äußern.
» Einen Hund? Aber natürlich. Gleich, welche Rasse du willst, du sollst ihn bekommen. «
» Danke. « Sie schenkte ihrem frisch getrauten Ehemann ein Lächeln, das er erwiderte.
Dann wartete sie, was als Nächstes geschehen würde. Sie nahm Konstantins Schnurrbartwachs wahr und einen leichten Zigarrengeruch, der sie an ihren Vater erinnerte.
Sie wollte jetzt an nichts mehr denken, sondern nur noch schlafen. Wollte allein gelassen werden.
» Darf ich die Lampen ausmachen, mein Engel? « , fragte Konstantin.
» Ja « , erwiderte Antonina, aber ihre Stimme klang seltsam gedämpft, als läge ein hauchdünnes Netz über ihrem Kehlkopf. Wieder räusperte sie sich. » Ja, natürlich « , sagte sie mit etwas festerer Stimme.
Während er der Reihe nach die Lampen ausdrehte, wurde es immer schummriger und schließlich dunkel im Zimmer, nur zwischen den Vorhängen vor dem breiten Fenster zeichnete sich ein schmaler Lichtstreifen ab. Antonina schloss die Augen, und als sie sie wieder öffnete, sah sie Konstantins Umrisse, der zu ihr ins Bett kletterte.
Sie rückte ganz an den Rand des Bettes und hielt den Atem an, während er die Bettdecke lüpfte und wieder zurückzog. Als sich Konstantin auf den Rücken legte, tat sie es ihm gleich. Ihr Nacken war verspannt, ihr Knöchel juckte. Die weißen Satinbänder ihrer Brautschuhe waren zu eng geschnürt gewesen. Hatte sie eben noch gefröstelt, war ihr jetzt zu warm, aber sie blieb reglos liegen.
Eine Zeit lang war es still. Sie fragte sich, ob Konstantin vielleicht eingeschlafen war. Sie lauschte auf seinen Atem, wusste jedoch nicht, wie es sich anhörte, wenn er schlief. Schließlich schloss sie ebenfalls die Augen, und ihre Beklemmung ließ allmählich nach. Das Jucken an ihrem Knöchel irritierte sie.
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