Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
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Seine Bemerkung über ihre Intelligenz schmerzte noch immer, doch sie erkannte, dass er sich bemühte, seinen Fehler wiedergutzumachen und nicht abermals durch seine Ungeduld diesen Tag zu verderben.
» Oh? Und wie? « Sie rang sich ebenfalls ein Lächeln ab.
» In Angelkow. Für dich, mein Engel. «
Wieder lächelte sie und drückte seine Hand, obgleich das Gefühl der Niedergeschlagenheit nicht im Geringsten nachgelassen hatte.
Es dauerte mehr als eine Woche, bis sich Antonina auf Angelkow zurechtfand – im Gutshaus, dem weitläufigen Garten und den zahlreichen Nebengebäude. Auch brauchte sie eine Weile, um sich die Namen der Hausleibeigenen zu merken. Ihr Mann verdankte den Großteil seines Vermögens der Wodkabrennerei, die er auf seinem Gut betrieb. Dazu gehörte eine Küferei, in der die Bottiche und Fässer hergestellt wurden, die man für die Lagerung und den Transport des Schnapses benötigte. Der Handel mit dem hochprozentigen Schnaps erstreckte sich über die Grenzen der Provinz hinaus.
Bevor sie und Konstantin Pskow verließen, hatte sie sich aus einem Wurf gerade entwöhnter Welpen einen ausgesucht. Der kleine Hund – Tinka – tröstete sie über ihre Einsamkeit in ihrem neuen Heim hinweg.
Ihren Vater vermisste Antonina nicht; seit dem Vorfall mit dem Leibeigenen-Abzeichen hatte sich ihr Verhältnis verändert. Was ihre Mutter betraf, so war ihre Beziehung noch nie liebevoll gewesen. Und ihre Brüder gehörten schon seit einigen Jahren nicht mehr zu ihrem Leben, abgesehen von gelegentlichen Besuchen. Die einzigen Menschen aus ihrem früheren Leben, die Antonina vermisste, waren eine Handvoll Bediensteter aus ihrem Elternhaus. Beim Abschied hatte sie sie auf die Wange geküsst und ihnen ein paar Rubel und Heiligenamulette in die Hand gedrückt.
Abgesehen von ihren persönlichen Dingen aus ihrem Zimmer hatte sie ihren Vater nur um einen Gegenstand gebeten, den sie mit in ihr neues Haus nehmen wollte: das wunderschöne Tafelklavier aus Rosenholz von Érard, auf dem sie seit ihrem vierten Lebensjahr spielte. Ihr Vater hatte es ihr nach Angelkow schicken lassen, und bei ihrer Ankunft wartete es bereits auf sie.
Konstantin ließ ihr bei der Einrichtung ihres Schlafzimmers freie Hand; es handele sich um ein ehemaliges Gästezimmer und nicht um das Schlafzimmer seiner verstorbenen Frau, wie er betonte. Antonina packte ihre persönlichen Gegenstände aus, füllte die Regale mit Büchern und stellte ihre kleine Glas- und Porzellansammlung auf; außerdem ließ sie neue Bettwäsche und Vorhänge in Grün und Elfenbein, ihren Lieblingsfarben, nähen. Am liebsten saß sie auf der breiten gepolsterten Bank an dem großen Fenster, wo sie hin und wieder den Blick von ihrem Buch hob und über den Garten und die angrenzende Landschaft schweifen ließ, die sich vor ihren Augen ausbreitete. Im Oktober verloren die Bäume quasi über Nacht ihre Blätter, und der erste Morgenfrost setzte ein. Raisa, die Köchin und Ehefrau des Stallmeisters Fjodor, ging bereitwillig auf Antoninas Speisewünsche ein, und Olga, die Haushälterin, erklärte ihr freundlich und geduldig, wie man einem großen Haushalt vorstand.
Nur mit ihrem Kammermädchen, Warwara, hatte Antonina Schwierigkeiten. Die nicht mehr junge Frau war sehr fromm und kühl, und Antonina fühlte sich immer unwohl unter ihren missbilligenden Blicken, obgleich diese es nie wagte, offen Kritik an ihr zu üben. Antonina wusste, dass sie bereits die Zofe der ersten Gräfin Mitlowskaja gewesen war.
Tagsüber bekam Antonina Konstantin kaum zu Gesicht, doch meistens aßen sie gemeinsam zu Abend. Neben der Schnapsbrennerei ging Konstantin noch weiteren Geschäften nach, die ihn häufig nach Pskow und gelegentlich auch nach Sankt Petersburg führten. Und so verbrachte Antonina ihre Zeit genau wie auf dem Gut ihres Vaters: Sie las, spielte mehrere Stunden am Tag Klavier und unternahm Ausritte. Manchmal hatten sie abends Gäste – Freunde von Konstantin –, und Antonina konnte mit manchen von ihnen angeregte Gespräche führen. Oder sie spielten nach dem Essen ein paar Runden Whist oder wint . In vielerlei Hinsicht war es, als führte sie noch ihr früheres Leben. Nur die Verantwortung für den Haushalt war neu für Antonina. Allmählich lernte sie, diese Rolle zu übernehmen. Die Dienstboten mussten angewiesen werden, welche Reinigungsarbeiten anstanden, zusammen mit der Köchin musste sie Menüs zusammenstellen, Einladungen und Besuchskarten mussten geschrieben und
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