Das Lied der Hoffnung: Roman (German Edition)
dieser scheinbar so vornehmen Dame.
Antonina ließ die Ohrfeige ohne mit der Wimper zu zucken über sich ergehen. Sie entschuldigte sich bei ihrer Mutter und den Näherinnen und meinte, dass die Hochzeit nun gewiss verschoben werden müsse, da die Zeit zu knapp sei, um ein neues Kleid zu nähen. Im Flüsterton, aber so barsch, dass es dennoch alle Näherinnen mitbekamen, erwiderte ihre Mutter: » Schluss jetzt mit deinen selbstsüchtigen Spielchen. Glaube ja nicht, ich hätte nicht durchschaut, was du im Schilde führst. « Dann überredete sie die Schneiderin mittels einer großzügigen Summe, ihnen das fast fertige Hochzeitskleid einer anderen Braut zu überlassen. Es war ein überaus schönes Tüllkleid, und wenngleich es nicht ganz so prächtig war wie das von Antoninas Mutter entworfene Modell, war es durchaus akzeptabel.
Es passte Antonina nicht, das Mieder war zu eng und der Rock um die Taille zu weit, aber die Zeit war zu knapp, um es im großen Stil abzuändern.
Graf Konstantin Nikolajewitsch Mitlowski und Prinzessin Antonina Leonidowna Olonowa wurden im September 1849 in der hoch aufragenden Kathedrale von Pskow getraut. Während der Priester eine nicht enden wollende Predigt über das Ehegelübde und die eheliche Pflichten hielt, kämpfte Antonina gegen Atemnot, die, dessen war sie sich sicher, von dem zu engen Mieder herrührte, das mit unzähligen winzigen satinbezogenen Knöpfen geschmückt war. Sie dachte an die junge Frau, die ihres Hochzeitskleids beraubt worden war, weil sie sich so kindisch benommen hatte, und empfand Scham. Sie hatte doch nur ihre eigene Hochzeit ruinieren wollen, nicht aber die einer anderen.
Als ihre Mutter sie nach der Trauung küsste und ihr ein fruchtbares Eheleben auf dem weit entfernten Gut Polnokowe wünschte, entging ihr deren harter Gesichtsausdruck nicht.
Die Miene ihres Vaters hingegen war eher unsicher, auch wenn er ein joviales Lächeln aufgesetzt hatte.
Den Gedanken daran, was die bevorstehende Nacht für sie bereithalten würde, verscheuchte Antonina.
Ihre erste gemeinsame Nacht verbrachten Graf Mitlowski und Gräfin Mitlowskaja in der prächtigen Suite eines Gasthofs, der einen herrlichen Blick auf die Welikaja bot, den Fluss, der durch Pskow floss.
Eine Zofe hatte ihr geholfen, das Brautkleid auszuziehen und in ein bebändertes Nachthemd aus Ekrüseide mit Stehkragen und langen Ärmeln zu schlüpfen. Erschöpft von den Strapazen des Tages und der Angst vor der bevorstehenden Hochzeitsnacht kletterte Antonina in das breite Bett. Mit dem Rücken gegen einen Berg spitzenbezogener Kissen gelehnt verharrte sie sitzend, das Haar noch immer zu einer kunstvollen Hochfrisur aufgetürmt, die mit winzigen glitzernden Perlen geschmückt war und ihren Schleier gehalten hatte.
Obwohl sie sich sicher war, viel zu aufgeregt zu sein, um einzuschlafen, fielen ihr sofort die Augen zu. Als es leise an die Tür klopfte, die die beiden benachbarten Schlafzimmer trennte, schrak Antonina hoch. » Ja « , sagte sie blinzelnd und räusperte sich. » Ja « , wiederholte sie, ein wenig lauter. » Herein. «
Konstantin trat ein und blieb in seinem Nachthemd, Morgenmantel und Pantoffeln verlegen neben dem Bett stehen.
» Geht es dir gut, meine Liebe? « , fragte er und wischte sich Mund und Schnurrbart mit einem Taschentuch ab, das er aus der Tasche seines Morgenmantels gezogen hatte.
» Ja, danke. «
» Es war eine schöne Hochzeit. « Er steckte das Taschentuch in die Tasche zurück. » Findest du nicht auch? «
» Ja, sehr schön. «
» Ich wollte dir vorschlagen, dass wir morgen das Höhlenkloster besuchen, wenn du möchtest. Es befindet sich vor den Toren der Stadt und ist sehr sehenswert. Pilger aus ganz Russland strömen dorthin, um seine Schätze zu bestaunen. «
Antonina nickte, wenngleich sie, wenn es nach ihr ginge, am liebsten wieder in ihrem Zimmer zu Hause gewesen wäre, umgeben von den Dingen, die ihr vertraut waren: ihren Büchern über Geschichte, den Memoiren von Weltreisenden und Abenteurern, die von weit entfernten exotischen Orten erzählten, ihren Romanen und Poesiebänden, ihren Zeichnungen von Pferden, die an den Wänden hingen, und ihrem Atlas; und, danach sehnte sie sich in diesem Moment ganz besonders, der Wodkaflasche, die sie hinter dem Polster der Fensterbank versteckt hatte. Nachdem sie beim Hochzeitsdinner zwei Gläser Wein getrunken hatte, hatte sie bemerkt, wie Konstantin dem Kellner ein Zeichen gegeben hatte, ihr keinen Wein mehr
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