Das Lied der Luege
den letzten Jahren verkehrten wir nicht in denselben Kreisen.«
Er lachte leise. »Das hat sich ja nun glücklicherweise geändert. Die Familie Allerby ist allgemein geschätzt und anerkannt. Was für ein Glück, dass Veronica sich ausgerechnet in mich verliebt hat, nicht wahr?«
Lavinia hatte weder Zeit noch Lust, mit Polkinghorn über dessen Ehe zu sprechen.
»Man wird mich unten vermissen«, sagte sie daher und wollte gehen, aber Stephen hielt nach wie vor ihren Arm umklammert. »Lassen Sie mich sofort los!«
Sein Griff lockerte sich, doch er beugte sich dicht zu Lavinia vor, so dass sie trotz des mangelnden Lichts seine blitzenden Augen erkennen konnte.
»Es ist jetzt wirklich schon vier Jahre her, seit Susan Hexton in diesem Haus war. Unheimlich, wie schnell die Zeit vergeht, nicht wahr?« Lavinia versuchte, ruhig zu atmen, aber das Herz pochte ihr im Hals. »Wie geht es denn unserer lieben Susan?«
»Woher soll ich das wissen?«, gab Lavinia scharf zurück. »Sie ist Schauspielerin geworden. Das ist doch eher eine gesellschaftliche Schicht, in der Sie verkehren, Polkinghorn.«
»Oh, Susan oder Peggy Sue, wie sie sich jetzt nennt, ist als Schauspielerin sogar ganz passabel. Ich habe sie mal auf der Bühne gesehen. Nur schade, dass sie von unserer einstigen Freundschaft nichts mehr wissen will.«
Lavinia trat ein paar Schritte zurück, denn Polkinghorn hatte sie endlich losgelassen.
»Wenn Sie Susan gesehen haben, warum fragen Sie mich dann nach ihr?«, fragte sie und bemühte sich, Polkinghorn ihre Nervosität nicht anmerken zu lassen. »Ich gehe jetzt wieder zu meinen Gästen …«
»Sie haben eine zauberhafte Tochter«, sagte er plötzlich. »Sie und Ihr Mann sind bestimmt sehr stolz auf sie. Pech nur, dass Susan ihr Kind verloren hat, nicht wahr?«
Lavinia verharrte abrupt, alles in ihr schien zu Eis zu erstarren.
»Hat Susan Ihnen das gesagt?« Lavinias Stimme war nur ein Flüstern. Sie hatte nicht geahnt, dass Polkinghorn und Susan sich erneut begegnet waren, es schien jedoch logisch, dass Susan ihm erzählt hatte, sie hätte ihr Kind verloren.
»Ich dachte, Sie würden sich vielleicht um Ihre Freundin sorgen«, sagte er mit einem Unterton, der Lavinia einen kalten Schauer über den Rücken jagte.
»Wir waren nie Freundinnen. Nur, weil ich sie damals, als sie in einer prekären Situation war, einige Zeit auf unserem Besitz habe wohnen lassen, verbindet uns keine Freundschaft.«
»Ach ja?« Er lachte höhnisch. »Welch ein Zufall, dass Susan ihr Kind verliert, während Sie eines bekommen. Und das, nachdem Sie jahrelang versucht haben, schwanger zu werden.«
»Halten Sie den Mund!« Lavinias Beklemmung wich einer grenzenlosen Wut. »Wie können Sie es wagen, derart mit einer Dame zu sprechen. Mein Leben und das Leben meiner Familie geht Sie nichts an, und jetzt möchte ich Sie bitten zu gehen, sonst rufe ich um Hilfe.«
So leicht ließ sich Polkinghorn nicht einschüchtern. Er sagte leise und eindringlich: »Damals schon vermutete ich, dass mit Ihrer Schwangerschaft etwas nicht in Ordnung war. Und als ich erfuhr, dass Susan kein Kind hat …«
»Verschwinden Sie aus unserem Haus!« Lavinia machte sich keine Mühe mehr, ihre Stimme zu senken. Sie wusste, was Polkinghorn andeuten wollte, aber er hatte keinen Beweis. Nicht, wenn Susan Hexton den Mund gehalten hatte, und davon war Lavinia überzeugt. Selbst wenn sie geplaudert haben sollte – es gab nicht den kleinsten Beweis, dass sie Anabells Mutter war. Alle, die damals in die Angelegenheit involviert waren, standen auf Lavinias Seite und wurden für ihr Schweigen auch heute noch gut bezahlt.
»Ich werde die Wahrheit herausfinden, Lady Lavinia.« Polkinghorns Stimme war eine einzige Drohung. »Gerade weil ich jetzt über Veronica mit dem lieben Edward verwandt bin, möchte ich nicht, dass mein Großcousin, oder wie immer man unsere verwandtschaftliche Beziehung nennt, einer Lüge aufsitzt und vielleicht ein Kind aufzieht, das gar nicht seinen Lenden entsprungen ist.«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.« Lavinia umklammerte das Treppengeländer so fest, dass ihre Knöchel schmerzten. »Wenn es mir auch für Ihre Frau leidtut – ich glaube, es ist besser, Sie verlassen auf der Stelle mein Haus und sehen künftig von Besuchen ab.«
»Genau das werde ich nicht tun, meine Liebe.« Er lachte anzüglich. »Nicht jetzt, da mir durch Veronica alle Türen offenstehen.«
»Lassen Sie die Lady in Ruhe!« Wie aus dem Nichts tauchte
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