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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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ein. Obwohl eine gelöste Atmosphäre herrschte, wurde Lavinia das Gefühl nicht los, von Polkinghorn beobachtet zu werden. Wenn sie ihm ihren Blick zuwandte, drehte er schnell den Kopf zur Seite und tat, als wäre er mit dem Fleisch auf seinem Teller beschäftigt. Lavinia war sich jedoch sicher, dass er nur darauf wartete, sie unter vier Augen sprechen zu können. Daher wandte sie ihre ganze Aufmerksamkeit dem neuen Gast zu. Da Sebastian Eathorne niemanden in der Runde kannte, saß er rechts neben Lavinia, so dass sie sich um ihn kümmern konnte. Eathorne war ein zurückhaltender Mann von etwa vierzig Jahren, groß, schlank, das dunkelbraune Haar an den Schläfen bereits ergraut. Tiefe Falten, die sich von der Nase zu seinen Mundwinkeln zogen, wiesen auf die hinter ihm liegende schwere Zeit hin. Selbstverständlich waren die Gerüchte, die über Eathorne in der ganzen Grafschaft kursierten, an diesem Abend tabu, daher suchte Lavinia nach einem Thema für eine unverfängliche Unterhaltung.
    »Ich hörte, Sie haben Ladbrooke House gekauft«, begann sie und lächelte Eathorne freundlich zu. »War das Haus nicht in einem sehr schlechten Zustand? Hoffentlich haben Sie nicht zu viel renovieren müssen und haben es bequem dort.«
    Er hob nur für einen Moment den Blick und sah Lavinia in die Augen, dann nahm er sein Weinglas und trank einen Schluck, bevor er antwortete: »Für meine Bedürfnisse ist das Haus ausreichend.«
    »Sie leben dort ganz allein?«
    »Mit einem Diener, ja.«
    »Wo haben Sie vorher gelebt?« Lavinia konnte sich die Frage nicht verkneifen.
    »Im Norden.«
    An der Kürze seiner Antwort und dem barschen Tonfall erkannte Lavinia, dass Eathorne dieses Thema nicht weiterverfolgen wollte. Mit einem Fingernagel zeichnete sie ein Muster auf die Tischdecke, bis sie sich dem unverfänglichsten aller Themen zuwandte.
    »Das Wetter in Cornwall ist im Winter recht mild, Mr. Eathorne. Sie werden überrascht sein, dass wir bisher keinen Schnee oder strengen Frost hatten. Es regnet jedoch häufig.«
    »Ja, das habe ich bemerkt.« Wieder nur eine kurze Antwort.
    Krampfhaft setzte Lavinia das Gespräch fort. Als Gastgeberin musste sie sich um den Herrn, der als Einziger ohne Begleitung gekommen war, kümmern.
    »Der Frühling kommt in unserer Gegend immer sehr früh.« Lavinia wusste, dass ihre Worte lapidar und nichtssagend klangen, aber nichts war unverfänglicher, als über das Wetter zu sprechen. »Wenn wir Glück haben, blühen bereits im Februar die ersten Krokusse.«
    »Im Frühling bin ich vielleicht nicht mehr in Cornwall«, entgegnete Eathorne und sah Lavinia zum ersten Mal ins Gesicht.
    »Oh! Wir dachten, da Sie Ladbrooke House instand gesetzt haben, wollen Sie sich hier dauerhaft niederlassen.« Auf Lavinias Zunge brannte die Frage nach seinem Beruf oder der Tätigkeit, mit der Eathorne sein Geld verdiente. Vielleicht hatte er auch geerbt und war von Haus aus vermögend. Eine solche Frage verbot sich natürlich, besonders bei der ersten Begegnung.
    Aus den Augenwinkeln sah Lavinia, dass die Gäste ihre Teller mit dem Plumpudding geleert hatten, daher konnte sie die Tafel aufheben. Sie nahm ihre Serviette vom Schoß, legte sie sorgsam gefaltet neben ihren Teller und erhob sich.
    »Meine Damen, wir sollten die Herren jetzt allein lassen. Der Kaffee wird im Salon serviert.«
    Edward und der eine oder andere männliche Gast seufzte erleichtert. Nach dem reichhaltigen Mahl sehnten sich die Männer nach einem Brandy oder Whisky und einer Zigarre. Man trank oder rauchte jedoch nicht in Gegenwart der Damen, die sich aus diesem Grund zurückzogen, um unter sich Kaffee zu trinken und Gebäck zu essen. Außerdem gab es für die Herren wichtige Fragen der Politik und der Wirtschaft zu besprechen, die nicht für die Ohren der Frauen bestimmt waren.
    Während Lavinia in den Salon ging, drängte sich Zenobia an ihre Seite.
    »Du warst gegenüber Eathorne zu aufdringlich«, flüsterte sie Lavinia tadelnd ins Ohr. »Er fühlte sich sichtlich unwohl in deiner Gesellschaft.«
    »Mutter!« Lavinia versuchte, ruhig zu bleiben. »Wir haben lediglich über das Wetter geplaudert. Außerdem – gerade dich interessiert seine Vergangenheit doch brennend, oder?«
    »Ach, redet ihr etwa über den geheimnisvollen Sebastian Eathorne?« Lavinia hatte nicht leise genug gesprochen. Lady Tremayne sah sie interessiert an. »Er ist ein sehr interessanter Mann«, fuhr sie fort. »Ich hätte nicht gedacht, dass er so gut aussieht.«
    Das

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