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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Eintreten von Mrs. Windle, die Kaffee und Likör servierte, enthob Lavinia einer Antwort. Danach wandte sich die allgemeine Aufmerksamkeit Veronica Polkinghorn zu, die zuerst etwas verloren auf einem Stuhl saß und an ihrem Kaffee nippte.
    »Lady Polkinghorn, Sie müssen uns erzählen, wie Sie Ihrem Mann begegnet sind«, sagte Zenobia auffordernd. »Wir dachten, Polkinghorn werde für immer Junggeselle bleiben.«
    »Ach bitte, nennen Sie mich doch Veronica.« Sie sah lächelnd in die Runde und schien über Zenobias Direktheit nicht pikiert zu sein. »Stephen und ich wurden uns in London bei gemeinsamen Bekannten vorgestellt.«
    »Ach, die Allerbys und die Polkinghorns haben einen gemeinsamen Freundeskreis?« Es war Zenobias Gesichtsausdruck anzusehen, dass dies sie überraschte. »Ich meine, mich zu erinnern, dass er in den letzten Jahren nicht in den guten Häusern verkehrte.«
    Wenn Veronica den Zynismus in Zenobias Frage bemerkte, ließ sie sich nichts anmerken. Freundlich, aber bestimmt erwiderte sie: »Der Ruf, den mein Mann hatte, ist mir bekannt. Sie können mir glauben, meine Damen, dass ich nicht blauäugig diese Ehe eingegangen bin, sondern genau wusste, worauf ich mich einließ. Aber Menschen können sich ändern.« Veronica Polkinghorn warf den Kopf in den Nacken und sah selbstbewusst in die Runde.
    Zenobia senkte beschämt den Kopf. »Ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten, Veronica«, sagte sie leise. »Immerhin sind die Callingtons und Allerbys miteinander verwandt, darum haben wir uns Sorgen um Sie gemacht.«
    »Dazu besteht kein Grund.« Veronica lachte. »Können wir nun das Thema wechseln? Was halten Sie denn von unserem Einsiedler? Es ist das erste Mal, dass er sich in der Öffentlichkeit zeigt, nicht wahr?«
    Lavinia war erleichtert, dass Veronica das Gespräch auf Sebastian Eathorne brachte, und sie berichtete von ihrem kurzen Gespräch bei Tisch. Bald jedoch war auch dieses Thema erschöpft, und Anne Troy, die den Herbst in London verbracht hatte, berichtete von den neuen Modetrends und einigen pikanten Details aus dem Liebesleben des Königs, der keinen Hehl aus seinen zahlreichen Beziehungen zu oft zweifelhaften Frauen machte.
    Mit einem Auge schielte Lavinia zur Uhr. Die Zeiger zeigten schon nach zehn, und sie begann, sich zu langweilen und müde zu werden. Mit einem Lächeln erhob sie sich.
    »Sie entschuldigen mich bitte für ein paar Minuten? Ich möchte nur kurz nach meiner Tochter sehen. In der letzten Zeit hat sie manchmal Probleme beim Einschlafen.«
    »Lavinia, das Kindermädchen …«
    »Ich weiß, Mutter«, unterbrach Lavinia ihre Schwiegermutter, »trotzdem möchte ich selbst nach Anabell schauen.«
    Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ Lavinia den Salon. Auf dem Flur lehnte sie sich gegen die Wand und seufzte. Ein pochender Schmerz zog vom Nacken in ihren Kopf, und sie sehnte sich danach, allein zu sein. Nun, maximal noch eine Stunde, dann würden sich die Gäste verabschieden. Aus dem Rauchzimmer, in das sich die Männer zurückgezogen hatten, klangen laute Stimmen und Gelächter. Die Herren schienen sich prächtig zu amüsieren.
    Lavinia machte kein Licht, als sie in den zweiten Stock, in dem die Kinderzimmer lagen, hinaufging, denn sie kannte das Haus wie ihre Westentasche. Leise öffnete sie die Tür zu Anabells Zimmer. Die Vorhänge waren zugezogen, durch den Spalt drang nur wenig Mondlicht, und Lavinia betrachtete ihre schlafende Tochter. Vor Liebe zog sich ihr Herz zusammen. Anabell schlief tief und fest, das hellbraune, wellige Haar wie ein Heiligenschein auf den Kissen ausgebreitet. Lavinia trat neben das Bett und zog die Decke, die herabgerutscht war, über Anabells Schultern. Sie hauchte einen leichten Kuss auf die Wange des Mädchens. Als sie das Zimmer wieder verlassen wollte, trat plötzlich eine Gestalt in den Türsturz.
    »Was wollen Sie hier?«, flüsterte Lavinia und wollte sich an dem Mann vorbeidrängen, doch dieser fasste nach ihrem Arm.
    »Ich hoffe, Ihrer Tochter geht es gut?«
    Stephen Polkinghorn! Lavinias Herzschlag beschleunigte sich. Sie hätte es sich denken können, dass er den erstbesten Moment nutzte, sie allein zu sprechen.
    »Was wollen Sie?«, wiederholte sie. »Bitte, ich möchte nicht, dass Anabell aufwacht.«
    Stephen nickte und trat einen Schritt zur Seite. Erst als Lavinia die Tür hinter sich geschlossen hatte, sagte er: »Ich hatte noch keine Gelegenheit, Ihnen zu Ihrer Tochter zu gratulieren.«
    Lavinia zuckte mit den Schultern. »In

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