Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
gewohnt, zu kämpfen, und sie würde um ihren Platz in der Welt des Theaters kämpfen. Wenn nun ihre Zeit am
Blue Horizon
zu Ende ging, dann sollte es eben so sein. Es gab zahlreiche andere Theater, die sie mit Kusshand nehmen würden.
    Als Susan endlich einschlief, konnte sie nicht ahnen, dass ausgerechnet Esperanza Montoya die Person war, durch die sich Susans Leben nachhaltig verändern sollte.
     
    Bereits zwei Tage später kam Susan nicht umhin, ihre Meinung über die neue Kollegin zu ändern. Esperanza Montoya mochte zwar eine völlig von sich überzeugte Person sein, dies jedoch nicht zu Unrecht, und Susan war ehrlich genug, die gute Leistung einer Kollegin anzuerkennen.
    »Sie ist wirklich nicht schlecht.« Joan setzte sich, eine brennende Zigarette in den Fingern, neben Susan. Sie warteten hinter den Kulissen auf ihren Auftritt und konnten von der Seite die Bühne einsehen. »Ich möchte nur wissen, warum sie vom Royal Court weg ist.«
    »Wahrscheinlich ist sie mit jemandem vom Theater ins Bett gegangen, verheiratet natürlich, und als es vorbei war, hat man sie rausgeworfen«, sagte Hetty, die neben Susan saß. »Darum muss sie sich jetzt bei uns durchschlagen, bis Gras über die Sache gewachsen ist.«
    Susan konnte Hetty ihre spitze Bemerkung nicht verübeln. Sie hatte die Zweitbesetzung zugunsten von Esperanza verloren und musste sich nun mit einer Nebenrolle zufriedengeben.
    »Das kann ich mir durchaus vorstellen.« Joan griff Hettys Vermutung auf. »Aus diesem Grund gilt bei uns ja der Grundsatz, niemals etwas mit einem Kollegen oder sonst jemandem, der am Blue Horizon beschäftigt ist, anzufangen.«
    Theodor Murphy hatte diesbezüglich strenge Ansichten. Seiner Ansicht nach sollte Berufliches und Privates niemals vermischt werden, denn ein Techtelmechtel würde sich immer negativ auf die Arbeit auswirken. Alle Schauspieler und Schauspielerinnen des
Blue Horizon
hielten sich daran, und es war sogar in ihren Verträgen schriftlich fixiert. Eine Liebelei mit einem Kollegen würde Susan oder eine der anderen unweigerlich das Engagement kosten.
    »Auf jeden Fall haftet ihr etwas Geheimnisvolles an.« Joan drückte ihre Zigarette aus und deutete auf die Bühne.
    »Ach, zählst du auch schon zu ihren Bewunderinnen? Na, vielleicht darfst du ja ihre Kleider ausbessern, wenn du nett zu ihr bist.« Hetty war eindeutig eingeschnappt und drehte Joan demonstrativ den Rücken zu.
    »Du bist ja nur neidisch, weil sie wirklich besser ist als du«, gab Joan schnippisch zurück.
    Bevor Hetty den Mund öffnen konnte, hob Susan beschwichtigend die Hand.
    »Bitte, keinen Streit, wir sind gleich dran. Hetty, ich verstehe, dass du über Esperanzas plötzliches Erscheinen nicht erfreut bist. Ich hatte und habe auch meine Bedenken, ob Theo mir die Hauptrolle lässt, denn Esperanza ist nicht nur talentiert, sondern auch wunderschön.«
    »Sie ist kein Ersatz für dich, Peggy.« Joan legte eine Hand auf Susans Schultern. »Sieh doch, wie sie spielt! Viele ihrer Szenen wirken bemüht, manche regelrecht affektiert und übertrieben und haben nichts mit der Wirklichkeit zu tun.«
    »Theater
ist
übertrieben.« Susan lachte. »Kein Mensch kommt ins Theater, um die Realität zu erleben. Die Besucher wollen für ihr Geld etwas sehen, was sie nicht tagtäglich zu Hause haben.«
    »Kinder, euer Auftritt!« Doro trat zu den drei Frauen und klatschte in die Hände. »Na los, auf die Bühne, Theo mag es nicht, wenn man ihn warten lässt.«
     
    Das neue Stück war wieder ein heiteres Singspiel aus der Feder von Marcus Jackmann, der bereits
Laura’s Dream
, das erste Stück, in dem Susan aufgetreten war, geschrieben hatte. Es war eine romantische Verwechslungskomödie, und Susan trat als Hauptperson Betty beinahe in jeder Szene der drei Akte auf. Heute probten sie den zweiten Aufzug des ersten Aktes, und Theo war guter Stimmung. Jedenfalls kritisierte er kaum eine Passage, wenngleich – wie gewohnt – kein Lob über seine Lippen kam. Nachdem Susan mit ihrer Probe fertig war, bat Theo Esperanza, nun dieselbe Szene zu spielen. Abwartend blieb Susan hinter dem Vorhang stehen und beobachtete die Kollegin. In der Szene musste sie ein längeres, langsames Lied singen, das Susan sofort gemocht hatte, als man es ihr zum ersten Mal vorgetragen hatte. Während Susans Singstimme hoch und glockenhell war, sang Esperanza das Lied einige Oktaven tiefer. Ihre Stimme klang rauchig, und es schwang etwas Verruchtes darin. Susan konnte sich ein flüchtiges

Weitere Kostenlose Bücher