Das Lied der Luege
einem gewissen Jacques Marais, einem jungen, französischen Musiker, der durch das Land tingelte, getanzt und auch ein wenig geflirtet. Er fand ihr fehlerhaftes Französisch mit dem britischen Akzent ganz »sauber’aft« und machte ihr kleine, aber keinesfalls plumpe Komplimente. An den ersten beiden Januartagen erkundeten sie zu Fuß die kleine Insel, und am Abend, als erneut ausgelassen gefeiert wurde, ließ sich Susan von ihm küssen. Seine Aufmerksamkeit tat ihr gut, und sie wäre keine Frau gewesen, wenn sie seine Bewunderung nicht genossen hätte. Bereits in den Tagen zuvor hatte Susan bemerkt, dass einige der Gäste dicke, selbstgedrehte Zigaretten rauchten, die einen süßlichen Geruch verströmten. Sie selbst war jedoch bei den üblichen Zigaretten geblieben. Entgegen ihrem einstigen Vorsatz, nicht zu rauchen, hatte sie vor zwei Jahren damit begonnen. In der Welt des Theaters gehörten Zigaretten wie Wein und Champagner einfach zu jedem Fest, da konnte sie nicht als Außenseiterin dastehen. Irgendwann, es war schon weit nach Mitternacht, gab Jaques Marais ihr seine selbstgedrehte Zigarette, und Susan nahm zwei kräftige Züge. Sofort wurde es ihr schwindlig, gleichzeitig erstrahlte aber alles in viel bunteren Farben. Susan verspürte eine Ausgelassenheit, die sie nie zuvor empfunden hatte. Das Letzte, woran sie sich erinnerte, war, dass sie und Jaques zu einem schnellen Musikstück getanzt hatten, dann wusste sie nichts mehr.
Susan kam erst wieder zu sich, als die fahle Wintersonne ihr mitten ins Gesicht schien. Ihr Kopf schmerzte, und ihr war übel, trotzdem registrierte sie sofort, dass sie in einem fremden Bett lag. Die Tapeten in ihrem Gästezimmer waren gelb-grün gestreift, während der Raum, in dem sie sich befand, mit Eichenholz getäfelt war. Als sie Atemgeräusche neben sich hörte, drehte sie sich voll böser Ahnung um. Neben ihr im Bett lag Jaques Marais, der tief und fest schlief. Da sie beide nackt waren, hatte Susan keinen Zweifel, was in der vergangenen Nacht geschehen war, auch wenn ihr jegliche Erinnerung daran fehlte. Hastig und leise, um Jaques nicht zu wecken, zog sie sich an und schlich über den Gang in ihr Zimmer. Glücklicherweise schienen noch alle im Haus zu schlafen, so blieb ihr eine peinliche Begegnung erspart. Susan ließ sich ein Bad ein, und erst, als sie sich im warmen Wasser entspannte, begann sie, sich zu erinnern, wie sie an dieser seltsamen Zigarette gezogen hatte. Sie hatte zuvor schon von Rauschmitteln gehört, diese jedoch nie selbst ausprobiert. Viele ihrer Kollegen und Kolleginnen konsumierten regelmäßig Cannabis oder Marihuana, Susan hatte dies jedoch bisher vehement abgelehnt. Sie erinnerte sich an die Leichtigkeit und die Freude, die das Rauchen ihr beschert hatte, und bedauerte nicht, es ausprobiert zu haben. Das Einzige, was sie bedauerte, war, dass sie sich nicht an die Liebesnacht mit Jaques erinnern konnte, denn er war ein sehr attraktiver Mann und sicher ein guter Liebhaber.
Als sie sich wenige Stunden später beim Frühstück, das eher schon ein Mittagessen war, begegneten, rührte Jaques mit keinem Wort und keiner Geste an dem Thema. Er war freundlich und aufmerksam wie immer, reiste jedoch an diesem Tag ab.
»Ein Engagement in La Rochelle«, sagte er bedauernd. »Finanziell stehe ich nicht so gut da, um mir das entgehen lassen zu können, Peggy, auch wenn ich lieber noch ein paar Tage in deiner Gesellschaft verbracht hätte.«
Man küsste einander zum Abschied auf die Wangen, tauschte aber keine Adressen aus und sprach nicht von einem Wiedersehen. So war es eben in diesen Kreisen: Man genoss, was einem geboten wurde, man liebte, wenn man dazu gerade in Stimmung war, man schmiedete jedoch keine privaten Zukunftspläne.
Sarah Bernhardt, der sich Susan in einer ruhigen Minute am Spätnachmittag des Tages anvertraut und ihr von Jaques erzählt hatte, lachte nur laut.
»Ach, Kind, es ist bedauerlich, dass du dich nicht erinnern kannst, ob er ein guter Liebhaber war und du auf deine Kosten gekommen bist. Cannabis ist eine feine Sache, um in Stimmung zu kommen oder wenn man mal die Sorgen vergessen möchte, du musst damit aber vorsichtig sein. Es hilft auch gegen Lampenfieber, wenn du meinst, nicht einen Schritt auf die Bühne setzen zu können. Nimm aber nur so viel, dass du stets Herr deiner Sinne bleibst.«
Susan war entschlossen, niemals wieder Rauschgift anzurühren, denn sie wollte nie wieder erleben, dass ihr in ihrer Erinnerung ein paar
Weitere Kostenlose Bücher