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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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hier feiern.«
    Susan wusste nicht, was sie sagen sollte. Bevor sie ans
Blue Horizon
gekommen war, hatte sie niemals so etwas wie Freundinnen gehabt. Diese drei Frauen hatten sie jedoch von Anfang an in ihren Kreis aufgenommen, nicht nach ihrer Vergangenheit gefragt und sie einfach so akzeptiert, wie sie war. Und jetzt ließen sie sich die Party mit Champagner und köstlichen Häppchen entgehen, um ihr einen Krankenbesuch abzustatten.
    Es war natürlich unvermeidlich, dass Doro, Joan und Hetty auf die Premierenvorstellung zu sprechen kamen.
    »Esperanza war wirklich gut, das muss der Neid ihr lassen«, bemerkte Joan.
    »Tja, das ist leicht untertrieben – sie war göttlich!« Obwohl Hetty allen Grund hatte, Esperanza nicht zu mögen, war sie ehrlich genug, zuzugeben, dass selten eine schillernde Schauspielerin auf der Bühne des
Blue Horizon
gestanden hatte. »Ich will damit nicht sagen, dass ihr Schauspiel außergewöhnlich ist«, fügte sie rasch hinzu, als sie Susans abweisenden Gesichtsausdruck bemerkte. »Es ist vielmehr die Art, in der Esperanza auftritt. Mag ihre Stimme sich auch nicht mit deiner, Peggy, messen lassen, so scheint es, als sänge sie um ihr Leben. Sie lässt sich völlig in die Melodie fallen, ihr Blick schweift in die Ferne, und das Publikum hat den Eindruck, sie wäre an einem fremden, exotischen Ort.«
    »Dazu sieht sie auch noch fantastisch aus«, ergänzte Joan und schenkte sich ein zweites Glas Wein ein. »Theo ist jedenfalls ganz begeistert und hat Esperanza unmittelbar nach der Vorstellung einen Dreijahresvertrag angeboten.«
    Susan wurde immer mulmiger zumute. Ihre Zeit im
Blue Horizon
schien endgültig vorbei zu sein, und das nur, weil sie eine Sekunde unaufmerksam gewesen war und nicht geschaut hatte, wo sie hintrat.
    »Was hast du jetzt vor?« Doro, der nicht entgangen war, was die schwärmerischen Worte der Freundinnen in Susan auslösten, sah sie aufmerksam an.
    Susan zuckte mit den Schultern. »Nun, die nächsten Wochen brauche ich mir keine Sorgen zu machen, mein Erspartes reicht noch ein Weilchen. Danach werde ich die Theater Londons abklappern, irgendjemand wird mir schon ein Engagement geben.« Aber wahrscheinlich fange ich wieder ganz unten an, dachte sie und schluckte. Die Freundinnen sollten nicht merken, wie nahe es ihr ging, von einer anderen – besseren – Schauspielerin so einfach ersetzt worden zu sein.
    »Ach, wir möchten, dass du bleibst!« Spontan umarmte Hetty Susan. »Theo lässt dich bestimmt nicht hängen. Sieh mich an – ich möchte von diesem Verein auch nicht weg, obwohl ich an einem anderen Theater sicher bessere Rollen bekommen könnte. Wir sind doch so etwas wie eine große Familie, nicht wahr?«
    Hetty hatte recht. Das Ensemble des
Blue Horizon
war tatsächlich wie eine große Familie. Eine Familie, die Susan nie zuvor gehabt hatte und auf die sie nicht mehr verzichten wollte. Dennoch wusste sie nicht, ob sie mit der Tatsache, nur in der zweiten Reihe zu stehen, zufrieden sein könnte. Wenn man einmal den Geschmack von Ruhm gekostet hatte, war es schwer, wieder darauf zu verzichten.
    »Ach, kommt Zeit, kommt Rat.« Susan winkte betont fröhlich ab. »Bis Herbst werde ich ohnehin auf keiner Bühne stehen können, wer weiß, was bis dahin geschieht.«
    »Vielleicht hat Esperanza in ein paar Wochen bereits die Nase von uns voll und geht an ein anderes Theater.« Doro sprach Susans Gedanken aus. »Jetzt wollen wir aber feiern und fröhlich sein, Mädels, denn die Nacht ist noch jung.«
     
    Nach einer Woche raffte Susan sich auf, eine Vorstellung von
Irrungen am Covent Garden
zu besuchen. Ihre Kollegen und Kolleginnen begrüßten sie überschwenglich, selbst Theo ließ sich zu einem gemurmelten: »Schön, dich wiederzusehen. Hoffe, es geht dir besser«, hinreißen, was aus seinem Mund fast eine Liebeserklärung war.
    Esperanza beherrschte die Bühne mit ihrem Spiel, das Publikum war begeistert, und die Kritiken sparten nicht mit Lob. Alle Vorstellungen waren ausverkauft, und die Leute standen Schlange, um einen Blick auf den
neuen Stern am Theaterhimmel
 – wie der
Daily Graphic
schrieb und dazu Fotografien von Esperanza veröffentlichte – zu werfen.
    Eines Abends schrieb Susan einen langen Brief an Sarah Bernhardt, in dem sie der Schauspielerin ihr Leid klagte. Als sie fertig war, las sie die Seiten noch mal durch, dann zerknüllte sie das Papier und warf es ins Kaminfeuer. Ihre Zeilen trieften nur so von Selbstmitleid, und Susan wusste auch

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