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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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ohne Antwort, was die große Diva antworten würde: »Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist! Rückschläge, die einen zu Fall bringen, sind keine Schande. Liegen bleiben und sich selbst bemitleiden, allerdings schon.«
    Susan schrieb erneut ein paar Zeilen, schilderte Sarah lediglich ihren Unfall, ließ den Brief jedoch mit positiven Worten ausklingen. Leider erhielt Susan keine Antwort auf ihren Brief, den sie an Sarahs Pariser Adresse gesandt hatte, und erfuhr erst später, dass Sarah sich auf einer ausgedehnten Tournee in den Vereinigten Staaten befand und nicht vor dem Herbst nach Frankreich zurückkehren würde.
    Susan versuchte, die freie Zeit, so gut es ging, totzuschlagen. Gelegentlich warf sie einen Blick in ihr Rollenbuch, denn sie war fest entschlossen, wenn sie im Herbst ans Theater zurückkehrte, die Hauptrolle immer noch zu beherrschen. Das Auswendiglernen der Texte langweilte Susan jedoch bald, denn es war eine Sache, einen Text zu lernen und zu wissen, diesen vor Publikum aufzuführen, oder es nur für sich selbst zu tun. Susan fehlte die Motivation, und sie begann, häufiger als früher auszugehen. Ende Juni konnte der Verband um ihre Schulter durch ein Klebeband, das unter der Kleidung nicht zu sehen war, ersetzt werden, und die Schmerzen waren auch fast verschwunden. Noch immer war die Beweglichkeit ihres rechten Arms eingeschränkt, der Arzt hatte jedoch gesagt, dass sich dies in den nächsten Wochen geben würde.
    War Susan früher nur mit dem Ensemble des Theaters ausgegangen, so geriet sie jetzt in neue Kreise und lernte jede Menge Leute kennen. Die Feste, die sie besuchte, waren alle ebenso oberflächlich wie die Menschen, die sich dort tummelten, sie lenkten Susan jedoch ab. Sie war jetzt siebenundzwanzig Jahre alt, immer noch schön und ihre Figur rank und schlank wie die eines jungen Mädchens. Nur Susan allein wusste von den feinen, hellen Streifen an Bauch und Hüfte, die ihre Schwangerschaften hinterlassen hatten. Ihr Gesicht war makellos, und eventuelle dunkle Schatten, die sich nach einer durchfeierten Nacht unter ihre Augen legten, überdeckte Susan mit einem Hauch Make-up, ohne geschminkt zu wirken.
    Eines Abends fuhr sie zu einer Party in einem Haus in Pimlico. Es gehörte einer Bekannten von Charles Landsbury, den Susan in einem Lokal in Soho kennengelernt hatte. Der Mann war ihr aufgefallen, da er keinen Versuch machte, mit ihr zu flirten, obwohl sie einem solchen nicht abgeneigt gewesen wäre, denn Charles Landsbury war ein gutaussehender und eleganter Mann. Er war Journalist, Mitinhaber einer kleinen Zeitung, und Susan reizte es, die Bekanntschaft zu vertiefen, da er sie offenbar schätzte, sie jedoch nie bat, ihn allein zu treffen. Wenn sie miteinander ausgingen, dann waren immer zahlreiche Freunde von Charles dabei – Journalisten wie er, aber auch Künstler aller Gattungen oder einfach Personen, die keiner geregelten Arbeit nachgingen und das Leben genossen.
     
    Susan hatte ein Taxi genommen, und als sie ankam, war die Party bereits in vollem Gange. In dem kleinen Haus, das unten lediglich aus einer Küche und einem Salon und oben aus drei kleinen Zimmern bestand, drängten sich die Leute so dicht, dass Susan Mühe hatte, sich einen Weg zu bahnen. Rauchschwaden durchzogen die Räume, und sie hatte ihren Mantel noch nicht abgelegt, als jemand ihr ein Glas Champagner in die Hand drückte. Susan fragte eine Blondine, die dieser Haarfarbe sicher mit chemischen Mitteln nachgeholfen hatte, nach Charles. Sie zuckte aber nur die Schultern.
    »Keine Ahnung, Schätzchen, kenne ich nicht. Ist das aber nicht eine wunderbare Party?«
    Susan erklomm die Treppe, denn oben spielte ein Grammophon laut und schrill schnelle Rhythmen, zu denen sich die Leute im Takt wiegten, wenngleich für einen richtigen Tanz gar kein Platz war. Seit Anfang des Jahres war es in Mode gekommen, diese Musikrichtung, die sich Ragtime nannte und aus Amerika stammte, zu spielen, allerdings nur in unkonventionellen Kreisen, denn die bessere Gesellschaft rümpfte über diese Art von Musik die Nase und befürchtete durch sie einen Untergang der Kultur.
    Am anderen Ende des Zimmers sah Susan Charles, der jedoch mit dem Rücken zu ihr stand. Sie versuchte, sich bemerkbar zu machen, was aufgrund der lauten Musik aber nicht möglich war. Beim Versuch, sich zwischen den Leuten hindurchzudrängen, stieß Susan versehentlich einem Mann den Ellbogen in die Rippen.
    »Entschuldigung«, rief sie, dann erkannte sie, wen

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