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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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lächelte er Susan aufmunternd zu.
    »Kein Grund zur Sorge, Miss Peggy. Ihr Schlüsselbein ist zwar gebrochen, das heilt aber schnell wieder. Ich lege Ihnen jetzt einen festen Verband an, der jeden zweiten Tag nachgezogen werden muss. Wenn Sie die Schulter schonen, werden Sie in acht bis zehn Wochen nichts mehr spüren.«
    »In zehn Wochen!« Susan fuhr von der Untersuchungsliege hoch, obwohl der Schmerz in ihrer Schulter ihr beinahe den Atem nahm. »Aber morgen Abend ist Premiere … Das neue Stück …«
    Der Arzt zuckte bedauernd mit den Schultern. »Da wird sich Theo wohl nach jemand anderem umschauen müssen, Miss Peggy, außer er möchte eine verletzte Schauspielerin, die vor Schmerzen kaum einen Ton herausbringt, auf der Bühne haben.«
    Obwohl Susan den älteren, grauhaarigen Arzt eigentlich recht gern mochte, hätte sie ihm jetzt wegen seiner spöttischen Worte am liebsten die Augen ausgekratzt.
    »Meine Stimme ist in Ordnung, und gegen die Schmerzen können Sie mir doch etwas geben, Doktor. Ich
muss
morgen auftreten!«
    »Sie müssen jetzt erst mal gesund werden, Miss Peggy.« Seine Stimme wurde schärfer. »Sie haben verflixtes Glück gehabt, dass Sie sich nur das Schlüsselbein und nicht das Schultergelenk gebrochen haben. Wenn Sie sich ruhig verhalten und die Schulter nicht bewegen, werden die Knochen wieder völlig zusammenwachsen, und es wird nichts zurückbleiben. Deswegen werde ich Ihnen auch kein Schmerzmittel verabreichen, denn wenn Sie keine Schmerzen verspüren, werden Sie sich nicht genügend schonen.«
    Susan spürte, dass sie den Arzt nicht umstimmen konnte. Mit zusammengepressten Lippen ließ sie es über sich ergehen, als er ihren Oberkörper so fest in Binden schnürte, dass sie kaum noch Luft bekam. Als sie, auf seinen Arm gestützt, den Behandlungsraum verließ, sah sie in zwei entsetzte Augenpaare.
    »So schlimm?«, fragte Doro.
    Susan nickte. »Schlimmer.«
    »Na, na, übertreiben Sie mal nicht.« Der Arzt tätschelte Susans Arm. »Sie müssen nur eine Zeitlang pausieren, im Herbst werden Sie wieder gesund und munter wie eh und je auf der Bühne stehen.«
    »Oje, das wird Theo nicht freuen.« Hetty sah Susan mitleidig an.
    Die drei Frauen tauschten einen langen Blick. Jede von ihnen wusste, was Susans Unfall zu bedeuten hatte.
     
    Am folgenden Abend saß Susan allein in ihrer Wohnung. Sie hatte keine Lampe angezündet und eine Flasche Rotwein geöffnet. Obwohl Doro sie gedrängt hatte, ins Theater zu kommen, wollte Susan es sich nicht antun, Esperanza Montoya in
ihrer
Rolle auf der Bühne zu sehen. Sie sah zur Uhr, die sie im Dämmerlicht nur schwach erkennen konnte. Jetzt hob sich der Vorhang zum ersten Akt, den Esperanza mit einem Lied begann.
    Als Susan am Tag davor ins
Blue Horizon
zurückgekommen war, hatte sich Esperanza zwar ehrlich bestürzt gezeigt, das freudige Funkeln in ihren Augen jedoch nicht verbergen können. Ohne dass jemand es aussprach, wussten alle, was Susans Sturz bedeutete: Esperanza erhielt ihre große Chance und würde der Star auf der Bühne sein. Theo hatte zwar auch ein paar bedauernde Worte gemurmelt, war in Gedanken jedoch bereits an der Umbesetzung und gab gleich Anweisung, das komplette Stück noch einmal durchzuspielen, obwohl es bereits nach zehn Uhr war, dieses Mal mit Esperanza in der Hauptrolle. Doro hatte Susan nach Hause begleitet und war geblieben, bis diese eingeschlafen war.
    Die Schmerzen in der Schulter waren erträglich. Susan musste jedoch zugeben, dass ihr jede Bewegung schwerfiel. Den rechten Arm konnte sie so gut wie gar nicht gebrauchen, und wenn Doro heute nicht gekommen wäre, ihr etwas zum Essen gebracht und ihr beim Anziehen geholfen hätte, würde sie wahrscheinlich immer noch im Bett liegen.
    Kurz nach Mitternacht klopfte es an Susans Tür. Es waren Doro, Joan und Hetty.
    »Warum seid ihr nicht auf der Premierenfeier?«, fragte Susan anstelle einer Begrüßung. »Oder war das Stück so ein Reinfall, dass es dieses Mal kein Fest gibt?«
    Doro schüttelte den Kopf. »Im Gegenteil, das Publikum war begeistert. Ich bin sicher, wir werden morgen in den Zeitungen die besten Kritiken bekommen. Uns war jedoch nicht zum Feiern, wenn unsere liebste Kollegin nicht dabei ist.«
    Susan schluckte gerührt. »Ihr seid lieb, aber …«
    »Kein Aber! Willst du uns nicht hereinlassen?« Energisch drängte sich Joan an Susan vorbei ins Wohnzimmer. »Oh, du hast uns erwartet und schon den Wein geöffnet. Mädels, holt die Gläser, wir werden jetzt

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