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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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er ihr eine der selbstgedrehten Zigaretten mit dem süßlichen Geruch reichte, lehnte Susan nicht ab. Sie nahm allerdings nur einen Zug, auf keinen Fall wollte sie wieder die Kontrolle über ihre Sinne verlieren. So wusste Susan genau, was sie tat, als sie Charles in seine Wohnung, die nur zwei Blöcke weiter lag, folgte und mit ihm ins Bett ging. Sie genoss jeden Augenblick, vergaß Ronald und ihre Situation, dass sie als Schauspielerin auf dem absteigenden Ast war. Charles liebte sie anders als Ronald – wilder und härter, aber Susan kam dennoch auf ihre Kosten.
    Die Sonne schien schon lange durch die Fenster, deren Vorhänge nicht geschlossen waren, als Charles ihr sagte, er sei verheiratet und habe drei Kinder.
    »Meine Frau lebt auf dem Land«, erklärte er. »Sie verträgt das Londoner Klima nicht, und für die Kinder ist die gute Luft auch besser.«
    Im ersten Moment war Susan enttäuscht, obwohl sie Charles nicht liebte, aber sie empfand große Sympathie für ihn. Sie hatte gehofft, Charles würde ein dauerhafter Begleiter werden, er ließ jedoch keinen Zweifel daran, dass ihre gemeinsamen Liebesstunden eine einmalige Sache gewesen waren.
     
    Anfangs nahm Charles, mit dem sie entgegen seiner Aussage noch ein paar Mal schlief, sie mit und stellte sie Leuten vor, die ihrerseits Susan einluden, so dass sie weitere Personen kennenlernte. Sie wusste, all diese Menschen waren keine Freunde, sondern man traf sich lediglich, um Spaß zu haben und sich die Zeit zu vertreiben. Längst hatte Susan sich daran gewöhnt, sich bei diesen Festen dem Konsum diverser Rauschmittel nicht zu entziehen. Wenn sie eine dieser Zigaretten rauchte, verschwanden plötzlich all ihre Sorgen und dunklen Gedanken an die Zukunft. Die Farben wurden leuchtender, das Lachen der Leute fröhlicher und die Musik mitreißender. Doro oder die anderen vom
Blue Horizon
sah Susan kaum noch, auch verzichtete sie darauf, ihre Rivalin Esperanza Montoya noch einmal auf der Bühne zu sehen. Wenn Doro sie besuchen wollte, dann traf sie die Freundin oft nicht an, oder – falls Susan zu Hause war – sie lag noch schlafend im Bett, obwohl es bereits Nachmittag war. Mehrmals versuchte Doro, Susan ins Gewissen zu reden und sie dazu zu bringen, mit Theo zu sprechen, dass er sie ab dem Herbst wieder in die Truppe aufnahm, doch Susan wollte davon nichts wissen. Sie lebte für den Augenblick, das Morgen schien unendlich weit entfernt, und sie war überzeugt davon, es würde sich so oder so alles fügen.
     
    In den folgenden Wochen hastete Susan von einer Party zur nächsten. Als am zweiundzwanzigsten Juni George von Sachsen-Coburg und Gotha zu König George V. des Vereinigten Königreichs gekrönt wurde, feierte Susan mit Hunderttausenden Londonern drei Tage und drei Nächte. König Edward war bereits im Mai des Vorjahres gestorben, doch die Krönungszeremonie hatte so viele Vorbereitungen erfordert, dass erst jetzt dem neuen König die Krone aufs Haupt gesetzt werden konnte. Aus der Ferne konnte Susan einen kurzen Blick auf den König und seine Frau, Königin Mary, erhaschen, als diese vom Buckingham Palace über die Mall zur Westminster Abbey fuhren. Anlässlich der Krönung fand auch das
Festival of Empire
im Kristallpalast statt, dem Gebäude, das vor sechzig Jahren der damalige Prinzgemahl Albert von Sachsen-Coburg und Gotha für die erste große Weltausstellung erbauen ließ. In Anlehnung an die damalige Ausstellung wurden nun anlässlich der Krönung Produkte aus allen Ländern des britischen Empires präsentiert. Originalgetreu und im Maßstab von drei Viertel zu eins waren einige Parlamentsgebäude des Commonwealth errichtet worden, die eine ganz besondere Attraktion darstellten. Es gab einen Vergnügungspark mit Karussells, Schießbuden und Ständen mit Zuckerwatte und sonstigen süßen Leckereien. Die Ausstellung war natürlich über einen längeren Zeitraum geöffnet, doch am Tag der Krönung herrschte hier eine ausgelassene, beinahe überschäumende Stimmung. Charles hatte keine Bedenken, sich mit Susan in der Öffentlichkeit zu zeigen, denn seine Frau hatte sich geweigert, in die Stadt zu kommen. Ihr war der Trubel, den eine Krönung mit sich bringt, zu anstrengend. So schlenderten Susan und Charles über die schmalen Wege zwischen den Buden. An einem Stand hielt Charles an, um ihr eine Tüte mit gebrannten Mandeln zu kaufen, die Susan besonders gerne mochte. Als sie plötzlich jemanden ihren Namen rufen hörte, dachte sie unwillkürlich an

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