Das Lied der Luege
deswegen war Miss Stopes interessant, sondern auch, weil sie sich für die Geburtenkontrolle einsetzte. Susan hatte die junge Frau besucht und von ihr den Rat bekommen, nur an bestimmten Tagen während ihres monatlichen Zyklus mit einem Mann zu schlafen. Das war zwar kein hundertprozentiger Schutz vor einer ungewollten Schwangerschaft, bisher hatte es jedoch funktioniert, denn Susan wollte unter keinen Umständen jemals wieder ein Kind haben. Dies machte sie Charles nun unmissverständlich klar.
»Glaubst du etwa, ich möchte schwanger werden? Ich bin Schauspielerin und ruiniere mir nicht meine Karriere wegen eines Kindes.« Die Worte klangen härter, als Susan wirklich empfand. Ihr war das Gespräch unangenehm, und sie hoffte, Charles würde es dabei belassen.
Er besaß den Anstand, leicht zu erröten.
»Es war mir nicht bekannt, dass Frauen etwas … dagegen tun können«, sagte er leise. »Vielleicht sollten wir uns trotzdem trennen, das Risiko ist zu hoch. Wenn du doch schwanger werden solltest und meine Frau davon erfährt …«
Woher diese plötzlichen Skrupel?, dachte Susan, sagte aber nur: »Dann wird es wohl das Beste sein.«
»Ach, Peggy, du musst mich verstehen.« Charles sah sie entschuldigend an. »Ich bin nur ein kleiner Journalist, der mal hier, mal dort eine Geschichte schreibt. Unsere Zeitung gehört nicht gerade zu den auflagenstärksten. Meine Frau jedoch hat ein kleines Vermögen geerbt, das es mir ermöglicht, so zu leben und mich nicht in einer Firma oder gar Fabrik abrackern zu müssen. Ich kann es mir einfach nicht vorstellen, von morgens bis abends, sechs Tage die Woche, an einem Schreibtisch zu sitzen und für fremde Leute zu arbeiten.«
Susan verstand. Ihre Beziehung zu Charles Landsbury war vorbei. Obwohl sie ihn ebenso wenig wie Ronald geliebt hatte, war er ein unterhaltsamer Gesellschafter gewesen, ein guter Liebhaber, und es gab Situationen, in denen es angenehm war, eine starke Schulter zum Anlehnen zu haben. Gerade jetzt, da Susan nicht wusste, wie es weitergehen sollte. Im Augenblick war sie ohne Engagement, ihre Schulter würde noch ein paar Wochen brauchen, bis sie völlig geheilt war und sie wieder mit ganzem Körpereinsatz spielen konnte. Mit Charles auszugehen, war allemal besser, als allein zu Hause zu sitzen und Trübsal zu blasen. Natürlich kannte sie inzwischen genügend andere Leute, bei denen sie auch allein willkommen war, dennoch bedauerte Susan, dass ihre Beziehung zu Charles zu Ende war.
Nach diesem Gespräch hatte keiner von ihnen mehr Lust, weiter zu feiern. Charles brachte Susan nach Hause, verabschiedete sich höflich vor der Tür und wünschte ihr alles Gute. Susan wusste, sollten sie sich zufällig begegnen – was bei ihrem gemeinsamen Freundeskreis zu erwarten war –, würden sie nicht mehr als flüchtige Bekannte sein.
Zwei Tage lang vergrub Susan sich in ihrer Wohnung, dann ging sie wieder aus. In ihren Kreisen war es als Frau nicht notwendig, nur in männlicher Begleitung auf Festen zu erscheinen, zudem war sie Schauspielerin, denen man ohnehin so manches nachsah. Die Partys wurden ausgelassener, die Musik lauter und die Tänze wilder. Längst hatte Susan begonnen, gleich nach dem Frühstück ein Glas Wein zu trinken, um in Schwung zu kommen, wie sie es nannte.
Der Juni ging in einen regnerisch kühlen Juli über, und manche ihrer Bekannten verließen London und fuhren aufs Land. Dort war das Wetter zwar auch nicht besser, der wolkenverhangene Himmel und der Regen waren auf dem Land aber leichter zu ertragen als in der Stadt.
Die durchfeierten Nächte, der regelmäßige Alkoholgenuss und der gelegentliche Genuss von Rauschgift hinterließen ihre Spuren. Eines Tages, als sie nach dem Aufstehen im Bad stand – es ging bereits auf drei Uhr am Nachmittag zu, aber Susan war erst im Morgengrauen nach Hause gekommen –, erschrak sie über ihr Spiegelbild. Die Haut unter ihren Augen war geschwollen und dunkel, ihr Blick müde und ihr Haar stumpf. Gestern war sie allein auf einer Party in einem Haus am Sloane Square gewesen und hatte sich prächtig amüsiert. Ein Mann – Susan konnte sich an seinen Namen nicht mehr erinnern – hatte sie nach Hause gebracht. Glücklicherweise wusste Susan, dass sie ihn nicht mit in ihre Wohnung genommen, sondern seine Aufdringlichkeiten auf der Straße vehement abgewehrt hatte. Als er versuchte, ihre Brüste zu berühren, hatte sie ihm eine Ohrfeige verpasst. Sie wusch sich das Gesicht mit kaltem Wasser
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