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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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und kam langsam zu sich. Deutlich erinnerte sie sich an die Worte des Mannes: »Jetzt stell dich doch nicht so an. Ihr Schauspielerinnen seid doch alle Huren, besonders die, die keiner mehr auf der Bühne sehen will.«
    »O Gott!« Susan stöhnte und presste die Finger auf die Schläfen. Ihr Kopf dröhnte, und ihr war schwindlig.
    »Ihr seid doch alle Huren …« Die Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Er hatte recht. Oh, wie recht er mit seinen Worten hatte, die er ihr an den Kopf geworfen hatte. Sie war regelmäßig mit einem Mann ins Bett gegangen, den sie nicht liebte und dessen ehrenvollen Heiratsantrag sie abgelehnt hatte, und mit Charles Landsbury hatte sie das Bett geteilt, wenn ihnen beiden danach zumute gewesen war. Auch wenn sie aus diesen Beziehungen keine Vorteile zog oder sich gar bezahlen ließ, war sie doch nicht besser als eine Prostituierte. Viele Schauspielerinnen mussten ihren Körper verkaufen, um den Traum von der Bühne leben zu können, denn die Gagen, die Frauen erhielten, waren meistens lächerlich gering und reichten kaum zum Überleben. Dazu kam, dass sie für die Kosten der Kostüme selbst aufkommen mussten, ebenso für die Reisekosten, wenn sie auf Tourneen gingen. Dies alles hatte Susan dank Lavinia Callingtons Geld mühelos finanzieren können und war, frei von jeglichen Skandalen, zu einer gefeierten Schauspielerin aufgestiegen. Obwohl am
Blue Horizon
leichte, wenig anspruchsvolle Stücke gespielt wurden, sah sich Susan nicht als Tingeltangel-Schauspielerin, sondern hatte gehofft, eines Tages als ernsthafte Mimin anerkannt zu werden. So wie Sarah Bernhardt, die zwar auch ihre Liebschaften und allerhand Allüren hatte, der aber die Leute dennoch zu Füßen lagen.
    »Auf diesem Weg erreichst du es nicht.« Susan streckte ihrem Spiegelbild die Zunge heraus, dann wandte sie sich ab. Sie musste aufhören, vor etwas davonzulaufen, was nicht zu ändern war. Mit den unseligen Partys, dem Alkohol und dem Rauschgift versuchte sie nur, ihre Gedanken und ihre Erinnerungen zu betäuben, dabei glitt sie immer tiefer in einen Sumpf, aus dem es eines Tages keinen Ausweg mehr gab.
    Susan straffte die Schultern, ging in die Küche und brühte sich einen starken Tee auf. Sie brauchte eine Auszeit. Musste ein paar Wochen raus aus London, und sie wusste auch schon, wohin sie fahren würde.

15. Kapitel
    Cornwall, August 1911
    I n diesem Jahr war Susan nicht in einer Pension abgestiegen, sondern hatte sich ein Cottage auf den Klippen von Polperro gemietet. Von dem kleinen Garten hatte Susan einen unbegrenzten Blick über die verwinkelten, engen Gässchen des Dorfes, auf den kleinen Hafen, in dem bei Ebbe die Fischerboote im Schlick dümpelten, und auf das kristallblaue, unendlich weite Meer. Tag für Tag schien die Sonne, kaum eine Wolke zeigte sich am Himmel, und es war sehr warm. Tief sog Susan die frische, nach Salz, Tang und Moor riechende Luft ein, und es war, als würden alle Sorgen und Probleme von ihr abfallen. Sechs Wochen wollte sie in Cornwall bleiben. Sechs Wochen, in denen sie, weit weg von den zweifelhaften Partys mit noch zweifelhafteren Leuten, die sich ihre Freunde nannten, Zeit hatte, über ihr Leben nachzudenken. Gut, sie war durch eine bessere Schauspielerin ersetzt worden, das war jedoch kein Grund, den Kopf hängen zu lassen und sich mit Alkohol und Rauschmitteln zu betäuben. So etwas geschah jeden Tag, und sie musste nach vorn sehen. In den vergangenen drei Jahren hatte sie sich als Schauspielerin und Sängerin über die Grenzen Englands hinaus einen Namen gemacht. Es wäre doch gelacht, wenn kein anderes Theater sie engagieren würde. Dazu musste sie allerdings gesund und kräftig sein, wozu die durchgemachten Nächte nicht beitrugen. Susan merkte auch, dass ihre Stimme durch das Rauchen gelitten hatte, darum war damit jetzt Schluss. Natürlich wusste sie, dass sie mit ihrer Reise ausgerechnet nach Cornwall ihrem Seelenheil nichts Gutes tat. Sie hätte auch an die Südküste nach Brighton oder in die Seebäder in der Grafschaft Dorset reisen können, dennoch hatte sie sich wieder für Cornwall entschieden. Obwohl sie niemals in die Nähe von Anabell Callington gelangen würde, machte allein der Gedanke, in der Nähe ihrer Tochter zu sein, sie zwar sentimental, aber auch glücklich. Vor fast fünf Jahren hatte sie sich für dieses schändliche Geschäft entschieden, es genau genommen sogar forciert, und sie musste lernen, mit den Schuldgefühlen, ihre Tochter verkauft zu

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