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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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verdüsterte sich der Blick des Bankiers. Verlegen hob er den Kopf und sah erst Stephen, dann Susan an.
    »Mylord … Mrs. Hexton … es tut mir furchtbar leid, aber … Ihr Konto in unserem Haus wurde vor zwei Monaten aufgelöst.«
    »Aufgelöst?« Susan fuhr von ihrem Stuhl hoch. »Das kann nicht sein, ich war doch gar nicht in England. Anfang April hob ich eine größere Summe ab, die ich mit an Bord nahm. Es sollten meiner Erinnerung nach aber noch knapp fünftausend Pfund auf dem Konto sein.«
    »Fünftausend!« Anerkennend pfiff Stephen durch die Zähne. »Respekt, ich wusste gar nicht, dass man mit der Schauspielerei so viel verdienen kann.«
    »Das spielt jetzt keine Rolle!« Zornig funkelte Susan erst ihn, dann Mr. Manson an. »Was wollen Sie damit sagen, dass das Konto aufgelöst wurde?«
    Mr. Manson zuckte bedauernd mit den Schultern.
    »So leid es mir tut, aber nach diesen Unterlagen hier existiert das Konto auf den Namen Susan Hexton bei unserer Bank seit Ende April nicht mehr. Ich kann das natürlich nachprüfen lassen …«
    »Dann tun Sie das«, fiel Stephen ihm ins Wort und stand auf. »Aber sofort, Mrs. Hexton und ich kommen in einer Stunde wieder, dann erwarten wir, dass dieser offensichtliche Fehler Ihres Hauses aufgeklärt und entsprechend behoben ist.«
    Wie betäubt folgte Susan Stephen nach draußen. Die Gedanken wirbelten in ihrem Kopf durcheinander. Es konnte sich nur um einen Irrtum handeln. Vielleicht gab es eine zweite Frau mit ihrem Namen, oder dieser Noland hatte einen schwerwiegenden Fehler begangen. Immerhin war er inzwischen spurlos verschwunden.
    Stephen führte Susan in ein nahe liegendes Kaffeehaus und bestellte Tee und Sandwiches, Susan hatte jedoch keinen Hunger.
    »Es wird sich alles aufklären.« Beruhigend legte er eine Hand auf die ihre. »Das Schicksal meinte es gut mit dir, dass wir uns ausgerechnet heute trafen. Jetzt erzähl – wie ist es dir ergangen? Was hast du auf der Titanic erlebt? Man las ja furchtbare Sachen über die dramatischen Szenen.«
    Am liebsten wäre Susan aufgestanden und davongelaufen, aber sie wusste, sie schuldete Stephen Dank. Ohne ihn wäre sie nie bis zum Inhaber des Bankhauses vorgedrungen. So schilderte sie in knappen Sätzen ihre Erlebnisse an Bord und wie sie gerettet wurde.
    »Und du willst wirklich nicht wieder auftreten?«, fragte Stephen fassungslos, als Susan erwähnte, sie habe die Schauspielerei an den Nagel gehängt.
    »Ich habe andere Pläne«, antwortete Susan ausweichend. Auf keinen Fall wollte sie Stephen auch nur ein Sterbenswörtchen von Jimmy erzählen.
    Die Stunde zog sich zäh wie Gummi, doch schließlich saß Susan wieder Mr. Manson gegenüber. Dieser lehnte sich in seinem Stuhl zurück, legte die Fingerspitzen aneinander und betrachtete eingehend seine Nägel, als er langsam sagte: »Mrs. Hexton, nach dem Untergang der Titanic galten Sie, da keine anderweitigen Informationen vorlagen, als tot. In unseren Unterlagen habe ich Einträge gefunden, aus denen ich schließen kann, dass Ende April Ihr Ehemann, ein gewisser Paul Hexton, das gesamte Barvermögen von Ihrem Konto abgehoben und dieses aufgelöst hat. Es hatte alles seine Richtigkeit, denn Mr. Hexton konnte sich ausweisen und legte eine entsprechende Heiratsurkunde vor.« Er hob den Blick und sah Susan fest in die Augen. »Mrs. Hexton, ich hoffe, dieser Mann war kein Betrüger?«
    Susan brauchte einige Minuten, um die Tragweite dieser Nachricht zu erfassen.
    »Nein, ein Betrüger ist Paul Hexton nicht, jedenfalls nicht in diesem Fall. Wir sind tatsächlich verheiratet.« Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Stephen sie erstaunt anstarrte, sie gab ihm jedoch mit einem Blick zu verstehen, jetzt keine Fragen zu stellen, und fuhr fort: »Darf ein Mann so einfach das Konto seiner Frau plündern, auch wenn diese tot zu sein scheint?«
    Bevor Mr. Manson sprach, ahnte Susan die Antwort bereits. Eine verheiratete Frau hatte in diesem Land keine Rechte, nicht einmal das Recht auf ein eigenes Konto und eigenes Geld. Warum Paul jedoch überhaupt wusste, dass Susan ein Konto bei
Manson & Hailsham
unterhielt, war ihr äußerst suspekt. Ein Verdacht regte sich in ihr, und sie fragte: »Welcher Ihrer Mitarbeiter hat die Transaktion ausgeführt?«
    »Mr. Noland, der uns nur wenige Tage später verließ.«
    Als würde sich eine Nebelbank lichten, sah Susan plötzlich völlig klar. Irgendwie waren Paul und Noland, der Mann, dem sie ihr Geld anvertraut hatte, miteinander bekannt

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