Das Lied der Luege
geworden. Wahrscheinlich hatte Paul London nie verlassen und ihren Weg als Peggy Sue verfolgt. Nach dem Unglück musste er dann, wie alle anderen auch, davon ausgehen, dass Susan nicht mehr am Leben war. Daran war sie selbst schuld, denn sie wollte kein Aufsehen um ihre Person und hatte sich daher unter ihrem bürgerlichen Namen als Zwischendeckpassagier registrieren lassen. Aus diesem Grund war sie nicht auf den Listen der Überlebenden aufgeführt worden. Paul hatte die Gelegenheit genutzt und ihr Geld abgehoben, wozu er alles Recht der Welt hatte, denn als ihr Ehemann war er automatisch ihr Erbe.
»Mr. Hexton hat nicht zufällig eine Adresse, unter der man ihn erreichen kann, angegeben?« Susans Frage war eine rein rhetorische, umso erstaunter war sie, als Mr. Manson nickte.
»Wir haben die Angaben auf seiner Legitimation selbstverständlich notiert, Mrs. Hexton, dazu sind wir verpflichtet. Allerdings können wir Ihnen die Adresse nicht nennen. Sie verstehen, das Bankgeheimnis …«
»Ach, Quatsch!« Stephen fuhr hoch. »Hier ist eine riesige Schweinerei abgelaufen, woran Ihr Haus die Schuld trägt. Offenbar wurde Ihr Angestellter, dieser Noland, von Hexton gut bezahlt, damit er bei der Sache mitmacht. Sein Verschwinden ist ja mehr als eindeutig. Ich denke, das Beste wird sein, wenn Mrs. Hexton zur Polizei geht und die Angelegenheit zur Anzeige bringt.«
Obwohl ihr alles andere als zum Lachen zumute war, musste Susan schmunzeln, als sie sah, wie während Stephens Worten jegliche Farbe aus Mr. Mansons Gesicht wich. Beschwichtigend hob er die Hände.
»Aber Sir … Mylord … ich bin sicher, wir können das auch anders regeln.«
»Dann rücken Sie die Adresse heraus!« Susan hätte nicht gedacht, dass ein Angehöriger des Hochadels einen solch rüden Ton anschlagen konnte, aber Stephen war schon immer anders als andere Aristokraten gewesen. Es wirkte jedenfalls, und eine Minute später hielt Susan die Adresse, unter der Paul Hexton vor zwei Monaten gemeldet gewesen war, in den Händen.
»Soll ich dich begleiten?«, fragte Stephen, als sie auf die Straße traten.
»Ich danke dir für deine Hilfe.« Entschlossen hob Susan den Kopf. »Aber das ist eine Sache, die ich allein erledigen muss.«
So einfach wollte Stephen sie jedoch nicht gehen lassen.
»Wann sehen wir uns wieder?« Noch immer redete er nicht lange um den heißen Brei herum.
Spöttisch zog Susan eine Augenbraue hoch.
»Ich glaube kaum, dass es deiner Ehefrau gefällt, wenn du dich mit anderen Frauen triffst.«
Er lachte, und Susan konnte sich seinem Charme nicht völlig entziehen. War Stephen Polkinghorn auch ein Filou, wie er im Buche stand, und hatte Susan nie mehr als freundschaftliche Gefühle für ihn gehabt, so freute sie sich jetzt doch, ihn wiedergetroffen zu haben.
»Ach, Veronica weiß, dass sie mir vertrauen kann.« Er winkte lapidar ab. »Du musst sie unbedingt kennenlernen, Susan, ich bin sicher, du würdest sie mögen. Meine wilden Zeiten sind vorbei, um unserer alten Freundschaft willen möchte ich dich aber gerne zum Essen ausführen. Wie wäre es heute Abend?«
Susan schüttelte ablehnend den Kopf, konnte sich ein Lächeln jedoch nicht verkneifen.
»Stephen Polkinghorn, du wirst dich niemals ändern. Es tut mir leid, aber ich muss jetzt erst meine Angelegenheiten regeln. Das verstehst du doch, oder?«
»Selbstverständlich«, versicherte Stephen im Brustton der Überzeugung und versuchte, ernst zu wirken. »Es hat mich jedoch sehr überrascht, zu erfahren, dass du verheiratet bist. Warst du das schon, als wir uns kennenlernten? Damals in Cornwall … war das Kind von deinem Mann, den du verlassen hast?«
Susans Gesichtsausdruck verschloss sich.
»Bitte, Stephen, ich bin dir für deine Hilfe wirklich sehr dankbar«, wiederholte sie nachdrücklich, »aber das ist ganz allein meine Privatangelegenheit.«
»Wir sollten bei einem Abendessen darüber sprechen.«
Susan spürte, dass sie Stephen nicht so leicht würde abwimmeln können, daher stimmte sie zu und nannte ihm ihre Pensionsadresse.
»Ich weiß allerdings nicht, wie lange ich dort noch wohnen werde«, fügte sie hinzu.
»Keine Sorge, du wirst von mir hören«, antwortete er und lachte. »Sehr bald schon …«
Mit gemischten Gefühlen sah Susan ihm nach, als er die Straße hinabging und in sein Automobil stieg, das er selbst chauffierte, dann wischte sie sich mit dem Handrücken über die Stirn. Nein, sie würde jetzt nicht über Stephen nachdenken, sie
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