Das Lied der Luege
nicht im Stich lassen. Die Zeit bis April verging schnell. Wenn sie dieses Kind in ihrem Bauch, das sie nicht gewollt hatte und niemals würde lieben können, erst los war und das Geld hatte, würde sie Jimmy wieder zu sich holen. Dann würde sie in der Lage sein, ihrem Sohn endlich ein sorgenfreies Leben zu bieten.
»Da ich letzte Nacht alles verloren habe, weiß ich nicht, wo ich jetzt hingehen soll«, fuhr Susan fort. »Es ist also nötig, dass ich sofort bei Ihnen bleibe.«
Lavinia zuckte zusammen.
»In diesem Haus auf keinen Fall! Das geht alles zu schnell. Bis wir nach Cornwall aufbrechen können, brauche ich noch einige Tage Zeit.« Sie stand auf, griff nach ihrer Geldbörse in der Schublade, nahm eine Handvoll Münzen heraus und gab sie Susan. »Drei Querstraßen weiter finden Sie eine günstige, aber gute Pension. Die Adresse lautet Wooton Street Nummer sieben. Dort nehmen Sie sich ein Zimmer und warten auf Nachrichten von mir. Wenn jemand fragt, geben Sie sich als Witwe aus, die darauf wartet, mit einer Cousine oder sonstigen Verwandten aufs Land zu reisen, am besten in die Cotswolds oder nach Yorkshire. Auf keinen Fall dürfen Sie meinen Namen erwähnen oder irgendetwas, das auf mich hindeuten könnte. Sollten Sie das tun, hat sich unser Geschäft erledigt. Ich würde leugnen, Sie überhaupt zu kennen. Haben Sie das verstanden, Susan?«
Susan nickte, steckte das Geld in ihre Rocktasche und wandte sich zur Tür.
»Lassen Sie sich aber nicht zu lange Zeit, Mylady.« Susan zwinkerte Lavinia verschwörerisch zu, und ihr Gesichtsausdruck war zuversichtlicher, als ihr zumute war. »Wir müssen die Sache so schnell wie möglich in die Gänge bringen, nicht, dass jemand noch etwas von dem Schwindel bemerkt.«
Vor allem, damit ich es mir nicht anders überlegen kann, dachte Susan und schloss für einen Moment die Augen. Nie zuvor hätte sie gedacht, sich auf einen derartigen Plan einlassen zu können. Das Wasser stand ihr jedoch bis zum Hals, und wenn sie auf einen Streich das ungeliebte Kind in ihrem Bauch loswerden und dazu noch Geld bekommen konnte, dann würde sie eben die Zähne zusammenbeißen und diesen Schritt tun. Sie tat es ja schließlich nicht für sich, sondern in erster Linie für ihren Sohn Jimmy.
Bevor Lavinia etwas erwidern konnte, war Susan verschwunden. Lavinia knirschte mit den Zähnen. Sie wusste, dass sie möglicherweise einen großen Fehler beging, und hatte noch keine Ahnung, wie ihr Plan gelingen sollte. Das Angebot, oder vielmehr die verrückte Idee, die sie selbst Susan unterbreitet hatte, war jedoch zu verlockend, und wenn sie geschickt vorging, konnte es funktionieren. Die junge Frau wollte das Kind offensichtlich nicht haben, während sie selbst dringend eines benötigte. Edward würde sie nicht daran hindern, nach Cornwall zu fahren, auch befürchtete sie nicht, dass Edward ihr vorschlagen könnte, sie zu begleiten. Seine Geschäfte hielten ihn in London fest. Zur Sicherheit konnte sie sich in Cornwall ja ein Kissen unter den Rock stecken. Frauen ihrer Gesellschaftsschicht ließen sich in den letzten Monaten der Schwangerschaft ohnehin nicht in der Öffentlichkeit blicken. Folglich würden die Nachbarn Verständnis haben, wenn sie keine Einladungen gab und selbst auch keine annahm.
Während Lavinia sich mit Hilfe ihrer Zofe Jessy ankleidete, verflog die erste Euphorie über ihren wagemutigen Plan und machte ernsthaften Zweifeln Platz. Es war illegal, wenn nicht sogar kriminell. Menschenhandel nannte man das, was sie im Begriff war zu tun, und wenn die Sache aufflog, dann drohte ihr eventuell sogar Gefängnis. Mit aller Gewalt verdrängte Lavinia diese Gedanken. Es war eine einmalige Chance, die ihr hier in Gestalt von Susan Hexton geboten wurde, und sie würde sie ergreifen. Es war vielleicht ihre letzte Chance.
An diesem Abend sah Lavinia ihren Mann nicht mehr, was ihr die Zeit gab, über die richtigen Worte nachzudenken. Monkton ließ ihr ausrichten, ein Bote habe die Nachricht gebracht, Mylord sei bis Mitternacht bei einer Besprechung und würde in seinem Club übernachten, um Mylady nicht zu stören. Lavinia war über diesen Aufschub dankbar. Die ganze Nacht lag sie wach und versuchte, ihre Gedanken zu ordnen. Sie musste jetzt genau überlegen, was zu tun war, und durfte sich keinen Fehler erlauben. Für die nächsten Tage war Susan gut untergebracht. Lavinia glaubte nicht, dass es mit der jungen Frau Schwierigkeiten geben würde. Sehr deutlich hatte Lavinia die
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