Das Lied der Luege
Geldgier in deren Augen bemerkt. Eine Frau wie Susan würde für Geld fast alles tun, dennoch musste Lavinia dafür sorgen, dass Susan sich an die Spielregeln hielt. Und sie musste so schnell wie möglich nach Cornwall abreisen. Wenn sie und Susan erst auf Sumerhays, ihrem Landsitz an der Südküste, waren, würde der Rest ein Kinderspiel werden.
Noch in dieser Nacht setzte Lavinia sich hin und schrieb zwei lange Briefe. Einer ging am nächsten Morgen nach Cornwall, ein anderer wurde durch einen Boten Susan überbracht. Obwohl Lavinia keine Minute geschlafen hatte, fühlte sie sich frisch und ausgeruht wie schon lange nicht mehr. Um sieben Uhr nahm sie ein ausgiebiges Bad und ließ sich von Jessy in ein besonders elegantes und helles Kleid helfen, das ihrem Teint schmeichelte und sie frisch und munter wirken ließ. Pünktlich um zehn Uhr betrat sie das Speisezimmer, gerade in dem Moment, als Edward heimkehrte.
»Du siehst heute Morgen entzückend aus, meine Liebe.« Bewundernd glitt sein Blick über Lavinias Gestalt. Er küsste ihre kühle und nach Rosenwasser duftende Wange. »Es tut mir leid, dass sich die Sitzung gestern Abend so lange hingezogen hat, darum war es besser, im Club zu übernachten.«
Da solch zärtliche Momente zwischen dem Ehepaar selten waren, beschloss Lavinia, die Gunst der Stunde zu nutzen. Sie wartete, bis Monkton den Tee serviert, Edwards Wunsch, wie er seine Eier wollte, entgegengenommen und sie schließlich allein gelassen hatte, dann sagte sie: »Edward, mein Lieber, ich würde gerne nach Sumerhays fahren.«
Seine Augenbrauen ruckten nach oben, und er setzte die Tasse ab.
»Nach Sumerhays? Zu dieser Jahreszeit? Wir verbringen den Winter doch stets in der Stadt. Du weißt zudem, dass ich in nächster Zeit hier unabkömmlich bin.«
Lavinia nickte und lächelte geheimnisvoll.
»Ich weiß, dass wir den Winter nie in Cornwall verbringen, der Arzt meint jedoch, die Landluft würde mir guttun, zumal es in Cornwall nicht so kalt und feucht ist wie hier in London. Der ewige Nebel zieht durch alle Ritzen, und ich sehne mich nach etwas Sonne.«
»Der Arzt?« Edward Callington war ernsthaft besorgt. »Du bist doch nicht etwa krank, Lavinia? Jedenfalls hast du einen rosigen Teint, und deine Augen leuchten wie schon lange nicht mehr.«
Lavinia senkte den Blick und tat betont verschämt.
»Es ist keine Krankheit, Edward, dennoch muss ich mich schonen. Jedenfalls die nächsten Monate, meint der Arzt …«
Edward begann zu verstehen. Klirrend stellte er die Tasse auf den Tisch, stand auf und trat vor Lavinias Stuhl. Er legte einen Finger unter ihr Kinn und hob ihren Kopf, damit sie ihm in die Augen sehen musste.
»Willst du damit sagen, dass du …?«
Lavinia nickte, und eine leichte Röte überzog ihre Wangen. »Es ist alles in Ordnung, aber der Arzt meint, ich brauche sehr viel Ruhe, frische Landluft und keinerlei Aufregungen.«
»Wann?«, fragte Edward, und Lavinia verstand.
»Etwa Ende März oder Anfang April.«
Edward runzelte die Stirn. »So bald schon, dann bist du ja schon länger …«
»Ich bin im fünften Monat«, unterbrach Lavinia. Es gelang ihr sogar, zu erröten, und verlegen senkte sie den Blick. In ihren Kreisen war es nicht üblich, über Schwangerschaften und Geburten zu sprechen, zumindest nicht mit einem Mann, nicht einmal, wenn dieser ihr Ehemann war. Selbst Frauen untereinander unterhielten sich über dieses Thema nur leise und hinter vorgehaltener Hand. »Ich wollte erst ganz sicher sein, bevor ich es dir sagte. Die ersten Monate sind die gefährlichsten, da kann leicht etwas … schiefgehen. Ich wollte uns beiden eine Enttäuschung ersparen.«
Edward nickte verstehend, schenkte sich eine zweite Tasse Tee ein und setzte sich Lavinia gegenüber.
»Wann warst du bei Doktor Houseman?«
»Ich war nicht bei Houseman.« Lavinia schluckte, sie hatte sich ihre Worte gut überlegt. »Obwohl Doktor Houseman seit vielen Jahren der Arzt der Familie ist, scheint er mir für eine solche … Angelegenheit etwas zu alt. Ich habe einen anderen Arzt konsultiert. Er wurde mir von einer Cousine von Lady Thorne empfohlen, die bereits ihr drittes Kind erwartet.«
»Um wen handelt es sich?« Edward runzelte skeptisch die Stirn. »Du weißt, Doktor Houseman hat mein vollstes Vertrauen. Er hat sich immer um unsere Familie gekümmert.«
»Es ist Doktor Green«, antwortete Lavinia rasch. »Er praktiziert noch nicht lange in London, wird jedoch von vielen Damen aus unseren Kreisen
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