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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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nicht allzu schlimm.«
    »Frankreich«, antwortete Stephen knapp, und sein Blick verdunkelte sich. »Wenigstens bescheren mir die Verletzungen einen Heimaturlaub. Ich schätze, in drei, spätestens vier Wochen werden sie mich wieder rüberschicken.«
    »Was ist mit deinem Bein?«, fragte Susan.
    »Das ist halb so wild, ein glatter Oberschenkeldurchschuss. Mein Unterarm ist zweimal gebrochen, es wird aber alles wieder in Ordnung kommen.« Stephen sah sich um, dann ergriff er mit seiner gesunden Hand Susans Arm. »Darf ich dich zu einem Tee einladen?«
    »Danke, nein«, lehnte Susan ab. »Ich habe soeben Tee getrunken. Außerdem muss ich nach Hause und das Essen vorbereiten. Mein Sohn wird bald kommen.«
    Stephen musste nicht erfahren, dass sie eigentlich Zeit gehabt hätte. Obwohl Susan froh war, dass Stephen nicht ernsthaft verletzt war, wusste sie, es war besser, sich nicht mit ihm zu treffen. Stephen Polkinghorns Ruf war in der ganzen Gegend bekannt. Auch wenn er inzwischen verheiratet war – Susan wollte ihre neuen Bekanntschaften nicht aufs Spiel setzen, indem sie ihnen Grund gab, über sie zu klatschen. Es ging schließlich nicht nur um sie, sondern in erster Linie um Jimmys Zukunft.
    »Ach komm, nur eine halbe Stunde.« Über die Jahre hatte Stephen nichts von seinem Charme verloren, und Susan wurde beinahe schwach, als er sie bittend anlächelte. »Hier auf der Straße spricht es sich so schlecht.«
    »Ich glaube kaum, dass deine Frau erfreut wäre, wenn du mit einer anderen Tee trinken gehst.«
    Stephen stutzte kurz, dann lachte er. »Oh, Veronica weiß, dass sie mir vertrauen kann. Ich habe mich geändert, Susan, und sehe nicht mehr in jedem weiblichen Wesen, das meinen Weg kreuzt, ein potenzielles Jagdobjekt. Wenn du mit mir jedoch nicht in der Öffentlichkeit gesehen werden willst, dann können wir auch zu dir gehen. Wo wohnst du eigentlich?«
    Susan musste sich ein Grinsen verkneifen, denn Stephen hatte sich nicht wirklich verändert. Sie glaubte zwar kaum, dass er versuchen würde, sich ihr zu nähern, für ihren Ruf war es jedoch besser, wenn er sie – eine alleinstehende Frau – nicht besuchen würde.
    »Es tut mir leid, aber ich habe wirklich keine Zeit. Es war nett, dich wiedergesehen zu haben. Ich wünsche dir eine baldige Genesung und … pass auf dich auf, wenn du wieder an die Front musst, ja?«
    Susan wandte sich ab und ging schnellen Schrittes davon. Während des steilen Aufstiegs zum Talland Hill geriet sie außer Atem und musste einen Moment stehen bleiben, um zu verschnaufen. Beim Anblick der bunten Fischerboote im Hafen, die, da es Ebbe war, im Schlick lagen, ging ihr das Herz auf. Sie war über die Begegnung mit Stephen Polkinghorn nicht sonderlich überrascht, wusste sie doch, dass er in der Gegend lebte. Sie war nur froh, dass Stephen nicht von Lavinia Callington gesprochen hatte. Seit sechs Wochen war sie jetzt schon in Polperro, und bisher hatte sie dem Drang, nach Sumerhays zu gehen und das Haus wenigstens aus der Ferne zu sehen, widerstehen können, obwohl es Susan brennend interessierte, wie es Rosalind ging und wie sie sich wieder in ihr früheres Leben eingewöhnt hatte.
     
    Als zwei Tage später mittags an die Tür ihres Cottage geklopft wurde, öffnete Susan in der Annahme, es wäre Jana Godrevy, die manchmal zu einer Plauderstunde vorbeikam, oder eine andere Frau aus dem Dorf. Susan hatte soeben die Küchenschränke ausgeräumt, um gründlich sauber zu machen, und trug eine karierte Schürze und ein Kopftuch. Das Wetter hatte sich geändert, feuchter Nebel lag über der Bucht, und das Meer war grau und aufgewühlt.
    »Guten Tag, Susan.«
    Vor Schreck fiel Susan der Schwamm aus der Hand.
    »Rosalind! Woher weißt du …«
    »Dass du hier lebst?« Rosalind lächelte bitter. »Ich musste es durch Zufall erfahren, denn
du
hast es nicht für nötig gehalten, mir zu schreiben. Was habe ich dir getan, dass du dich nie wieder bei mir gemeldet hast?«
    Susan trat zur Seite. Sie seufzte.
    »Komm erst mal rein, ich mache uns einen Tee.« Mit ein paar Handgriffen räumte Susan den Küchentisch frei. »Entschuldige bitte, ich bin gerade beim Putzen.«
    Während sie den Wasserkessel aufs Feuer stellte und Teeblätter in die Kanne füllte, musterte sie Rosalind aus den Augenwinkeln. Die Frau, die sie als arme, irische Auswanderin kennengelernt hatte, hatte sich verändert. Rosalind hatte zugenommen, ihre Wangen waren voll und rot, und ihr Kleid und der Mantel waren zwar dunkel und

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