Das Lied der Luege
hat, denn der Lord und die Lady sind gute Herrschaften. Meinen Sohn Maxwell kennen Sie bereits, und da kommt Ennis, unser Jüngster.«
Mit einem breiten Grinsen stolperte ein vielleicht vierzehn- oder fünfzehnjähriger Junge mit kurzen, dunklen Stoppelhaaren in das Zimmer.
»Grüß dich, Mama.« Er hauchte seiner Mutter einen Kuss auf die Wange, dann streckte er Susan die Hand entgegen. Der strenge Fischgeruch, der von dem Jungen ausströmte, erinnerte sie unwillkürlich an ihre Kindheit in Billingsgate, und ein Schatten fiel über ihr Gesicht. Caja hatte die Ablehnung von Susan sofort bemerkt und sagte streng: »Wasch dich erst, bevor du dich an den Esstisch setzt.«
Ennis nickte und verschwand wieder nach draußen.
»Ennis geht bei einem Fischer in Polperro in die Lehre«, erklärte Caja. »Er ist einer meiner Cousins, und Denzil hatte nichts dagegen, da Max eines Tages die Farm übernehmen wird, die ihm, dem Ältesten, auch zusteht. Obwohl aus unserer Familie noch nie jemand Fischer war, macht Ennis diese Arbeit Freude.«
Susan nickte nur stumm, denn sie wurde von Minute zu Minute müder. Das Essen – Lammeintopf mit getrockneten Bohnen – schmeckte jedoch ausgezeichnet, und sie wechselte mit Denzil und mit Mae Nankerris, die inzwischen nach Hause gekommen war, ein paar belanglose Worte.
»Sie müssen mir unbedingt von London erzählen!« Das junge Mädchen verdrehte träumerisch die Augen. »Ach, ich wünschte, ich könnte in die Stadt fahren und all die schönen Dinge dort sehen.«
»Irgendwann wirst du das, Mae«, wies Caja ihre Tochter zurecht. »Lass unseren Gast jetzt in Ruhe, sie ist müde. In den nächsten Monaten wird sie Ihnen, Susan, sicher Löcher in den Bauch fragen.«
Susan lächelte. »London ist nicht unbedingt der Traum einer Stadt. Wie überall gibt es auch dort Licht und Schatten.«
Dankbar stand Susan auf, als Caja fortfuhr: »Mae, du räumst den Tisch ab und spülst das Geschirr, ich werde Susan das Cottage zeigen.«
Sie entzündete eine zweite Lampe und reichte sie Susan.
»Bei Dunkelheit müssen Sie aufpassen, wohin Sie treten, der Boden ist etwas uneben. Wir wollen doch nicht, dass Sie stürzen und dem Kindchen etwas geschieht, nicht wahr?«
Susan überraschte diese Bemerkung, sie war jedoch zu erschöpft, um etwas zu erwidern. Die beiden Frauen stiegen einen Hügel hinauf, und im Licht des aufgegangenen Halbmondes erkannte Susan ein kleines Haus. Die Tür stand offen, und Susan trat direkt in einen kleinen Wohnraum, dessen rechte Wand von einem mannshohen Kamin dominiert wurde. Erfreut stellte sie fest, dass im Ofen ein Feuer brannte, denn jetzt, am Abend, war von den milden Tagestemperaturen nichts mehr zu spüren, und es war empfindlich kalt geworden. Caja stellte ihre Lampe auf den Tisch und sah sich um.
»Es ist nicht groß und nicht luxuriös, aber bequem und sauber.« Sie öffnete die Tür zu ihrer Linken. »Hier ist Ihr Schlafzimmer. Das Haus trägt den Namen
Tinners Cottage
, weil früher, als es in der Nähe noch zahlreiche Zinnminen gab, ein Minenarbeiter und seine Familie hier gelebt haben. Die Grundmauern des Cottages sind über dreihundert Jahre alt, aus der Zeit stammten auch der Kamin und der große Hauptstützbalken.« Caja deutete nach oben. »Erst vor drei Jahren haben wir die Küche und ein kleines Badezimmer anbauen lassen.« Susan folgte der Bäuerin durch den Wohnraum, von dem drei Stufen in die Küche hinunterführten. Es war alles da, was sie benötigte. Nachdem Caja die Tür zum Badezimmer geöffnet hatte, entfuhr Susan ein Schrei der Überraschung.
»Eine Badewanne mit fließendem Wasser!«
Caja nickte voller Stolz.
»Lady Lavinia hat die ganze Farm ans Wassernetz anschließen lassen. Bei großen Festlichkeiten wohnen in Tinners Cottage oft Bekannte der Herrschaften, die nicht im Haupthaus untergebracht werden können.«
Susan drehte sich zu Caja um.
»Ich danke Ihnen, Sie sind so freundlich.« Sie seufzte. »Ich glaube, hier werde ich mich wohl fühlen, nach allem, was in der letzten Zeit geschehen ist.«
Plötzlich veränderte sich Cajas bisher freundlicher, fast einfältiger Gesichtsausdruck, und sie wirkte beinahe verschlagen, als sie leise flüsterte, obwohl niemand in der Nähe war: »Wir wollen doch alle, dass Sie sich wohl fühlen und dass es Ihnen gutgeht. Vor allem Lady Lavinia ist daran interessiert, dass Sie ein gesundes Kind zur Welt bringen, nicht wahr?«
Susan erschrak. »Was wollen Sie damit sagen?«
Caja lächelte
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