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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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scheinbar unbedarft, aber Susan schien es ein hinterhältiges Lächeln zu sein.
    »Nun, ich denke, wir wissen beide, wovon die Rede ist. Ich werde mich um Sie kümmern und dafür sorgen, dass mit dem Kind alles in Ordnung ist. Und Sie werden sich meinen Anweisungen fügen, schließlich steht viel Geld für Sie auf dem Spiel.« Ein eiskalter Schauer lief Susan über den Rücken. Sie wusste es! Die Bauersfrau wusste über ihren und Lavinias Plan Bescheid. Cajas nächste Worte bestätigten Susans Vermutung. »Ich bin die beste Hebamme weit und breit. Das weiß die Lady, und ich habe genaue Anweisungen erhalten.«
    »Was ist mit Ihrer Familie?«, stieß Susan hervor und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme zitterte.
    Caja machte eine wegwerfende Handbewegung.
    »Es ist nicht nötig, dass einer von denen etwas erfährt. Für meinen Mann und die Kinder sind Sie eine bedauernswerte Witwe, die ihren Mann verloren hat, obwohl sie ein Kind unter dem Herzen trägt.«
    »Was wollen Sie denn sagen, wenn …« Susan zögerte, ihr war auf einmal furchtbar kalt, und Caja verstand.
    »Leider werden Sie eine Totgeburt haben. Das kommt vor, auch wenn es vorher keine Probleme gab. Bis dahin ist aber noch ein wenig Zeit. Lady Lavinia sagte, Sie wären im fünften Monat. Ich werde Sie morgen Nachmittag, wenn mein Mann und Max im Stall, Ennis in Polperro und Mae auf Sumerhays sind, gründlich untersuchen, um festzustellen, ob alles in Ordnung ist.« Caja wandte sich zur Tür. »Jetzt lasse ich Sie allein, Sie müssen schlafen. In der Küche finden Sie alles, was Sie für ein Frühstück brauchen, und Max wird morgen Vormittag zum Einkaufen fahren. Wenn Sie wollen, können Sie ihn nach Polperro begleiten, dann sehen Sie gleich etwas von der Gegend. Sie stehen hier zwar unter meiner Aufsicht, sind aber keine Gefangene.« Die letzten Worte hatte Caja mit einem verschlagenen Lächeln gesagt, das Susan unangenehm berührte. Ihr erster Eindruck von Caja Nankerris hatte sie nicht getrügt – vor dieser Frau musste sie auf der Hut sein.
    Susan stand immer noch wie angewurzelt unter der Badezimmertür, als das Licht der Lampe, die Caja in der Hand trug, längst verschwunden war. Zum ersten Mal, seit sie am frühen Morgen aufgebrochen war, wurde ihr bewusst, dass es jetzt kein Zurück mehr gab. Lavinia Callington hatte offenbar an alles gedacht – sogar eine Hebamme würde stets an ihrer Seite sein.
    »Du hast es nicht anders gewollt«, sagte Susan laut zu sich selbst und zwang sich, an das Geld und nicht an ihren Sohn zu denken. Tausend Pfund waren für Susan eine unvorstellbar hohe Summe. In vier, spätestens fünf Monaten würde sie wohlhabend nach London zurückkehren, Jimmy zu sich nehmen und irgendwo auf dem Land ein neues Leben beginnen. Diese kurze Zeit musste sie durchhalten und sich vor allen Dingen nicht ständig von den Schuldgefühlen, Jimmy im Stich gelassen zu haben, peinigen lassen. Dem Jungen ging es bei Lilo gut, es würde ihm an nichts fehlen. Er war noch so klein – später würde er sich an die Zeit ohne seine Mutter bestimmt nicht mehr erinnern.
    Als Susan im Bett lag, fand sie trotz ihrer Erschöpfung keinen Schlaf. Sie lauschte nach draußen und – sie hörte nichts! Susan, seit ihrer Geburt an den Lärm der Großstadt gewöhnt, störte die ungewohnte Stille. In London waren stets, gleichgültig, zu welcher Tages- oder Nachtzeit, Geräusche zu hören: das Streiten der Nachbarn, wenn der Mann mal wieder zu viel getrunken hatte und seine Frau schlug, das Schreien von Kindern, der wenig melodiöse Gesang Betrunkener, die aus dem Wirtshaus nach Hause taumelten, gemischt mit dem lauten Kichern wenig ehrbarer Frauen, dazwischen das Klack-Klack von Pferdehufen und das Rumpeln von Wagenrädern auf dem Kopfsteinpflaster. Sogar immer wieder mal das laute Brummen und Rattern der neuen, pferdelosen Kutschen, die man Automobile nannte. Doch hier war es vollkommen still. Still wie in einem Grab, dachte Susan unwillkürlich. Plötzlich schrie ein Tier, und Susan erschrak. Es klang wie ein Vogel, ein Käuzchen vielleicht oder ein Uhu. Susan hatte weder das eine noch das andere jemals zuvor gehört. Unruhig warf sie sich von einer Seite auf die andere, doch der Schlaf wollte sich nicht einstellen.
    Ich brauche nur ein paar Tage, mich einzugewöhnen, dachte sie. Susan war sicher, in drei oder vier Tagen die Hektik und den Lärm Londons nicht mehr zu vermissen. Was Susan jedoch nicht aus ihrem Kopf ausblenden konnte, war die

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