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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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das sie jemals gerochen hatte. Sie drehte sich um. Von hier oben hatte sie einen wundervollen Blick über Polperro. Susan dachte, dass das Dorf vor hundert, ach, vor zweihundert Jahren ebenso ausgesehen haben musste. In den Unterlagen, die sich Susan vor ihrer Reise über Cornwall besorgt hatte, hatte sie gelesen, dass in Polperro seit Jahrhunderten nicht nur der Schmuggel, sondern auch die Wrackräuberei blühte. Offiziell lebten die Dorfbewohner zwar vom Fischfang, besserten ihr Einkommen aber regelmäßig mit diesen gesetzwidrigen Unternehmungen auf, obwohl darauf die Todesstrafe stand. Nun, das sollte ihr gleichgültig sein. Polperro war bezaubernd schön. Vielleicht sollte sie sich hier ein Cottage kaufen? Der Gedanke schoss Susan spontan durch den Kopf. Hier oben auf den Klippen, wo sie jeden Tag diesen fantastischen Ausblick genießen konnte. Ein kleines Haus mit einem Garten, in dem sie selbst Gemüse und auch ein paar Blumen zog. Jimmy würde es am Meer gefallen. Hier gab es keine rußige, schlechte Luft wie in London, die einem oft das Atmen erschwerte. Jimmy … Was er wohl jetzt gerade machte? Vielleicht spielte er mit seinen Bauklötzen oder malte ein Bild. Ob er sie wohl vermisste und manchmal nach ihr fragte? Wenn ja, was sagte Lilo ihm? »Die Mama kommt bald wieder …« oder etwa: »Deine Mama hat dich verlassen …« Würde der kleine Junge überhaupt verstehen, dass seine Mutter ihn im Stich gelassen hatte?
    Schnell presste Susan die Zähne zusammen, aber der Tag hatte seinen Zauber verloren. Sie wollte jedoch nicht weinen, denn sie hatte sich für diesen Weg entschieden. Für eine Umkehr war es jetzt zu spät.
    »Kann ich Ihnen behilflich sein, Miss?«
    Susan zuckte zusammen. Sie hatte den näher kommenden Mann nicht bemerkt, der sie interessiert, aber auch besorgt musterte.
    »Danke nein«, erwiderte sie abweisend.
    Er lächelte. »Ich hatte den Eindruck, Sie wären traurig. Dabei sollte an einem solch schönen Tag wie heute niemand trüben Gedanken nachhängen. Besonders nicht so eine junge und schöne Frau wie Sie.«
    Scharf zog Susan die Luft ein. Was bildete sich der Mann eigentlich ein? Zugegeben, er war attraktiv, groß und schlank, mit dichtem, dunklem Haar und hellbraunen Augen, vielleicht ein paar Jahre älter als sie selbst. Dennoch gab ihm das nicht das Recht, sie derart plump anzusprechen. Da der Küstenpfad eng war, versperrte er ihr den Weg. Sie sah ihn herausfordernd an.
    »Treten Sie bitte zur Seite. Ich möchte weitergehen.«
    Fast hatte Susan erwartet, dass er sie nicht vorbeilassen würde, er machte jedoch einen Schritt zur Seite und zog dabei seinen Hut.
    »Verzeihen Sie, dass ich mich noch nicht vorgestellt habe. Ich bin Stephen Polkinghorn, und Ihr Name, Miss …?«
    »Mistress, und nun lassen Sie mich vorbei, Mr. Polkinghorn.« Susan lief, so schnell sie konnte, den steilen Weg zum Hafen hinunter. Sie widerstand der Versuchung, sich umzudrehen, um zu schauen, ob er ihr folgte. Sie hatte keine Angst, denn das Dorf war voll von Menschen, außerdem hatte Susan in ihrem Leben sich schon vieler ungewünschter Aufmerksamkeiten erwehrt.
    Während Susan die nächste Stunde durch Polperro schlenderte, sich die alten, geduckten Fischerhäuschen und die engen Gässchen betrachtete, blickte sie sich immer wieder nach Mr. Polkinghorn um, doch der Fremde war nirgendwo zu sehen. In einem Geschäft kaufte Susan ein paar handgefertigte Taschentücher, in einem anderen ein kleines Bild, das den Hafen von Polperro darstellte. Die Sachen waren nicht teuer und würden sie später an ihre schöne Zeit in Cornwall erinnern. Pünktlich zum vereinbarten Termin war Susan wieder an der Crumplehorn Mill, wo sie von Max Nankerris bereits erwartet wurde. Die Ladefläche des Wagens war mit Mehlsäcken, Kartoffeln und Kisten, über deren Inhalt Susan nichts wusste, randvoll beladen.
    »Hatten Sie einen schönen Tag, Miss Susan?«, fragte Max, während er die Plane festzurrte.
    »Polperro ist sehr schön«, antwortete Susan. »Aber auch sehr arm, nicht wahr? Den meisten Häusern würden ein neuer Anstrich oder neue Fenster guttun.«
    Max grinste. »Och, die Leute mögen es so, wie es ist. Sie haben jedoch recht – Vermögende findet man hier keine. Die einzigen Vermögenden der Gegend sind die Tredarys aus Sumerhays. In den letzten Jahren kommen im Sommer auch immer mehr Besucher aus London oder den Städten im Norden, manche bauen sich hier wegen der guten Luft ein Haus. Das sind reiche Leute, und

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