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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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der britischen Insel war. Vor drei Tagen nun war Lavinia Callington nach Cornwall gereist und hatte Susan durch einen Boten deren Fahrkarte und die Anweisung, welche Zugverbindung sie nehmen sollte, zukommen lassen.
    Man wird Sie am Bahnhof in Liskeard abholen und zu einem Cottage bringen. Dort hören Sie dann von mir …
    Auch diese Nachricht hatte Susan im Kamin verbrannt und heute Morgen ihre Reise gen Westen angetreten. In Cornwall, vom Golfstrom begünstigt, herrschte ganzjährig ein ausgewogenes Klima, was der Grafschaft eine üppige, fast schon mediterrane Flora bescherte. Die Sommer waren selten heiß, ebenso gab es im Winter nur wenige frostige Tage, Schneefall war eine Seltenheit. Wenn sich Susan hier umsah, konnte sie dies nur bestätigen.
    »Bitte einsteigen zur Fahrt nach Penzance, über Liskeard, Bodmin, St. Austell, Truro und Redruth.«
    Laut rufend lief ein Schaffner über den Bahnsteig und forderte die Passagiere auf, wieder ihre Plätze im Zug einzunehmen. Nach einer halben Stunde hatte Susan ihr Ziel erreicht. Etwas verloren, einen Koffer und eine kleinere Reisetasche in den Händen, stand sie auf dem Bahnsteig in Liskeard und blickte sich suchend um. Nur wenige Reisende waren mit ihr ausgestiegen, und als Susan überlegte, was sie jetzt tun sollte, kam ein schlaksiger Jüngling in bäuerlicher Kleidung auf sie zu.
    »Mrs. Hexton? Susan Hexton?«, fragte er. Susan nickte. »Entschuldigen Sie meine Verspätung, aber eine Schafherde versperrte die Straße. Ich musste einen kleinen Umweg fahren.«
    Unaufgefordert nahm der Junge Susans Gepäck. Durch das kleine Bahnhofsgebäude folgte sie ihm hinaus auf einen belebten Marktplatz zu einem offenen Wagen, dessen Ladefläche mit zahlreichen Kisten beladen war. Er half Susan beim Aufsteigen, schwang sich dann auf den Kutschbock und tippte an seine Mütze.
    »Ich heiße Max, meine Mutter hat gesagt, ich soll Sie hier abholen.«
    »Danke, das ist sehr freundlich«, gab Susan unverbindlich zur Antwort, fragte jedoch nicht, wer Max’ Mutter war. Sie war gespannt, was sie erwartete, wusste aber schon jetzt, dass sie sich in dieser Gegend sehr wohl fühlen würde.
    »Wir müssen uns beeilen, es wird bald stockdunkel sein«, sagte Max und zeigte nach Westen zum Horizont, wo nur noch ein schmaler Streifen der untergehenden Sonne über der hügeligen Landschaft zu sehen war.
    Die Fahrt ging nach Süden über holprige und enge, gewundene Straßen. Etwa neun Fuß hohe Hecken säumten die Wege und verhinderten eine Sicht auf die Landschaft. Sie passierten kleine Gehöfte und Dörfer mit den Namen St. Keyne, Duloe und Sandplace. Im letzten Ort verließ Max an der Kirche die Hauptstraße und bog in einen schmalen Feldweg ein. Steil ging es bergan, das Pferd schnaufte heftig, dann fiel der Weg plötzlich wieder ab, und sie überquerten auf einer schmalen, steinernen Brücke einen Bach, der so reines Wasser führte, wie Susan es nie zuvor gesehen hatte. Links und rechts breitete sich ein Waldgebiet aus, und in der Luft lag außer dem Duft nach Harz ein frischer, würziger Geruch, der Susan unbekannt war.
    »Wir sind gleich da, Mistress«, sagte Max und bemerkte, wie sie leicht schnüffelte. »Sie können hier schon das Meer riechen. Das Cottage liegt keine Meile vom Wasser entfernt, und es führt ein Spazierweg zur Küste. Sie müssen aber sehr vorsichtig sein, denn die Klippen sind hoch und besonders bei Sturm sehr gefährlich. Am besten gehen Sie nach Polperro oder Looe, wenn Sie ans Meer wollen.«
    »Ach ja, danke.« Das war alles, was Susan, verwirrt von den vielen Namen, einfiel. Sie war zum ersten Mal in ihrem Leben am Meer, und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Hier im Wald war es stockdunkel, nur schemenhaft konnte sie die Umrisse der Bäume links und rechts des Weges erkennen.
    »Haben Sie eine Lampe?«, fragte sie mit dem mulmigen Gefühl, der Wagen würde jederzeit in den Graben rutschen.
    »Keine Angst, Mistress.« Max lachte und schnalzte mit der Zunge. »Sari kennt den Weg.«
    »Sari?«
    »Die Stute, sie findet auch blind nach Hause.«
    Susan versuchte, sich zu beruhigen, indem sie ruhig durchatmete, obwohl sie kaum noch die Hand vor Augen erkennen konnte. Für eine Frau wie sie, die ihr ganzes Leben in dem belebten London verbracht hatte, hatte diese stille Einsamkeit etwas Bedrückendes. Endlich lichtete sich der Wald und gab den Blick auf die Umrisse mehrerer Gebäude frei – offenbar hatten sie ihr Ziel erreicht. Susan hätte nicht gedacht, dass

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