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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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Erinnerung an Jimmy. Sie hatte ihren Sohn schändlich im Stich gelassen.
    »Es ist ja nur für kurze Zeit«, sagte sie sich, um sich selbst zu verteidigen. »Wenn ich das Geld habe, beginnt für uns zwei ein neues, ein besseres Leben.«
     
    Der nächste Tag brach neblig trüb an, jedoch während Susan sich das Frühstück bereitete, lichtete sich der Nebel, und immer mehr Sonnenstrahlen durchdrangen die Wokendecke. Gegen neun Uhr klopfte Max an der Tür des Cottages und fragte, ob sie ihn nach Polperro begleiten wolle.
    »Muss einiges erledigen, und Ma meinte, Sie würden sich gerne das Dorf ansehen«, nuschelte er und sah sich neugierig in dem kleinen Wohnraum um.
    »Sehr gerne, Max. Ich darf dich doch Max nennen?«
    »Natürlich, so nennt mich jeder, obwohl ich auf Maxwell getauft worden bin.«
    »Maxwell!« Susan lächelte. »In deiner Familie tragen alle sehr klangvolle Namen … Denzil, Ennis, Mae, Caja und natürlich Maxwell.«
    Max sah sie von der Seite an, über sein Gesicht huschte ein Lächeln.
    »Ma hält viel von alten Traditionen, wobei es natürlich Zufall war, dass meine Mutter ausgerechnet einen Mann mit dem Namen Denzil geheiratet hat. Sie werden merken, Mrs. Hexton, dass die meisten Leute in Cornwall alte Namen tragen. Auch wenn unsere Sprache ausgestorben ist, versuchen wir trotzdem, ein Stück der Vergangenheit zu bewahren.«
    »Wenn ich dich Max nenne, dann musst du aber auch Susan zu mir sagen.« Leicht legte Susan eine Hand auf seinen Arm.
    Er errötete. »Nun gut … Miss Susan, aber das mit dem Duzen, das lassen wir lieber. Wäre Ma nicht recht.«
    Die Fahrt in dem von zwei Pferden gezogenen Fuhrwerk war angenehm und kurz. Nach einer knappen halben Stunde fiel die Straße steil ab, und die ersten Häuser des Dorfes kamen in Sicht. Max zügelte die Pferde und hielt vor einer alten Mühle. Kleine, einstöckige und weißgetünchte Häuser mit schiefen Dächern drängten sich um ein großes Mühlrad, über dessen Schaufelblätter das Wasser eines Flusses sprang.
    »Das ist die Crumplehorn Mill«, erklärte Max und reichte Susan beim Absteigen die Hand. »Wir bringen unser Getreide zum Mahlen hierher, später kann ich dann das Mehl mitnehmen. Ich schlage vor, Sie gehen derweil ins Dorf und sehen sich alles an. Einfach die Straße hier weiter, dann kommen Sie direkt zum Hafen. Wir treffen uns in drei Stunden wieder hier.«
    Susan nickte und sah sich um. Die Häuser waren alle in der gleichen Bauweise erstellt – höchstens zwei Stockwerke hoch, die Wände schief, weiß getüncht und die Dächer mit Schieferplatten versehen. Je weiter sie kam, desto älter wurden die Häuser. Während der Fahrt hatte Max ihr erzählt, dass Polperro ein uraltes Fischerdorf ist, in dem sich im letzten Jahrhundert kaum etwas verändert hat. Eingezwängt zwischen steilen Abhängen, liegt es in einem Tal, durch das sich der Fluss Pol schlängelt, der dem Ort seinen Namen gibt. Wegen dieser beengten Lage konnte sich Polperro niemals ausbreiten, lediglich in der Umgebung der Mühle standen neuere Häuser. Susan hatte noch nicht den Hafen erreicht, als ihr durchdringender Fischgeruch in die Nase stieg, der sie unweigerlich an die Zeit in Billingsgate erinnerte, als sie und ihre Mutter auf dem Fischmarkt gearbeitet hatten. Seitdem verabscheute Susan Fisch und aß diesen nur, wenn sie nichts anderes bekam. Nach einigen Minuten, inzwischen hatte sie sich an den Geruch gewöhnt, erreichte sie das Hafenbecken. Es herrschte Flut, und Dutzende von bunten Fischerbooten in allen Größen schaukelten auf den sanften Wellen. Außer dem Fischgeruch lag nun auch der Duft nach Salz und Seetang in der Luft, und Susan ging rechts am Hafen entlang weiter. Fasziniert blieb sie an der niedrigen Kaimauer stehen und starrte auf das offene Meer. Wenn die Wellen an den Kai schlugen, spritzte wegen des Windes, der hier immer blies, Gischt hoch und benetzte Susans Gesicht. Es war herrlich! Wie durch einen Zauber fielen plötzlich alle trüben Gedanken von Susan ab. Am liebsten hätte Susan die Arme in die Luft geworfen und vor Freude laut gejuchzt. Sie bemerkte einen schmalen Weg, der rechter Hand am Hafenbecken hinauf auf die Klippen führte. Leichtfüßig erklomm sie den steilen Anstieg und wurde mit einem atemberaubenden Ausblick belohnt. So weit das Auge reichte, lag das blaue Meer vor ihr, auf dem sich weiße Schaumkronen türmten. Die Luft schmeckte nach Salz und Torf, und diese Mischung erschien ihr köstlicher als das beste Parfüm,

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