Das Lied der Luege
ein wenig Geld fällt für uns dabei ab, wenn sie hier einkaufen, aber dann gehen sie im Herbst zurück, und Cornwall gehört wieder uns Einheimischen.«
Während Max den Wagen aus der Einfahrt der Mühle auf die Straße lenkte, kam ein Reiter aus dem Dorf ihnen entgegen. Susan erkannte sofort den Fremden von den Klippen. Auch Polkinghorn erkannte sie, denn er tippte an seinen Hut und verneigte sich in Susans Richtung.
»Sagen Sie nicht, Sie kennen diesen Kerl?« Max verzog grimmig die Lippen, gab ein Schnauben von sich und trieb das Pferd mit der Peitsche an.
»Kennen ist zu viel gesagt. Wir begegneten uns zufällig auf den Klippen.«
»Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, Miss: Gehen Sie Polkinghorn aus dem Weg. Er genießt, was Frauen betrifft, den schlechtesten Ruf in ganz Ostcornwall, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Susan nickte. Lächelnd antwortete sie: »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, Max. Ich bin eine Witwe, die dazu noch ein Kind erwartet. Wohl kaum eine Person, an der Polkinghorn Interesse hat.«
Max warf ihr einen skeptischen Seitenblick zu.
»Sie sind aber sehr hübsch, ja sogar schön, wenn ich das so sagen darf, Miss Susan. Polkinghorn hat es schon immer gereizt, das zu bekommen, was er auf den ersten Blick nicht haben kann.«
Obwohl es das Kompliment von einem halbwüchsigen Jungen war, freute sich Susan über Max’ Worte.
»Nun, ich glaube nicht, dass sich die Wege von Polkinghorn und mir noch mal kreuzen werden, oder lebt er etwa in Polperro?« Dies würde Susan bedauern, denn sie hatte vor, das Dorf in den nächsten Monaten häufiger zu besuchen.
Max schüttelte den Kopf. »Der Besitz seiner Familie liegt weiter westlich, bei Fowey. Die Familie war bis vor einigen Jahren recht vermögend, was sie in erster Linie ihren Zinnminen verdankten. Die Minenindustrie in Cornwall stirbt allerdings aus, auch die Minen der Polkinghorns mussten geschlossen werden, weil sie keine Erträge mehr einbrachten. Es heißt zudem, das Geld rinne ihnen nur so durch die Finger. Man sagt, der alte Polkinghorn verspielte das Geld ebenso gerne wie sein Sohn, der es auch sonst für einige … lasterhafte Dinge ausgibt.« Max sah Susan ernst an. »Ich habe kein Recht, Ihnen Vorschriften zu machen, Miss Susan, aber meine Mutter sähe es gar nicht gern, wenn Sie sich mit diesem Beau treffen würden.«
Susan lachte unbekümmert.
»Wie ich schon sagte – diesbezüglich besteht keine Gefahr. Wir sind uns heute zufällig begegnet, und Polkinghorn machte auf mich gleich einen aufdringlichen Eindruck. Ich bin nach Cornwall gekommen, um Abstand zu gewinnen und in aller Ruhe mein Kind zur Welt zu bringen. Nach einem Techtelmechtel steht mir wahrlich nicht der Sinn.«
»Dann ist es ja gut.« Max’ Worte waren nicht mehr als ein Murmeln.
Susan kuschelte sich in die Decke und lehnte sich zurück. Obwohl dieser Stephen Polkinghorn in der Tat recht attraktiv war, stand ihr nicht der Sinn nach einer Liebelei. Sollten sie sich zufällig erneut begegnen und Stephen feststellen, dass sie sich in anderen Umständen befand, dann würde sich sein Interesse an ihr ohnehin schnell in Luft auflösen. Noch bevor Susan und Max die Park Farm wieder erreichten, hatte Susan die kurze Begegnung auf den Klippen schon vergessen.
Zwei Tage später überbrachte Caja Susan am Abend eine Nachricht von Lavinia Callington. In Lavinias steiler, akkurater Handschrift stand da:
Kommen Sie morgen Vormittag zu der Talland Bay. Caja wird Ihnen den Weg dorthin erklären …
Das Wetter hatte sich geändert, seit dem Morgen nieselte es, die Luft war jedoch noch angenehm mild. Jedenfalls war es viel wärmer als Ende November in London. Der Weg war nicht weit, und Susan sah bald das offene Meer vor sich liegen. Hinter einer uralten Kirche, deren niedriger, gedrungener Turm darauf schließen ließ, dass sie aus normannischer Zeit stammte, fiel der Weg steinig und steil zu einer kleinen, unbewohnten Bucht ab. Susan erkannte Lavinia sofort. Auch sie war zu Fuß gekommen, ein Wagen hätte diesen Weg auch kaum bewältigen können. Lavinia Callington war in ein dunkles Cape gehüllt, dessen Kapuze ihr Gesicht fast vollständig verbarg. Als sie Susan erblickte, lief sie ihr entgegen und hielt sich nicht lange mit Vorreden auf.
»Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit?«
»Ja, danke, die Nankerris sind sehr freundlich«, antwortete Susan.
Lavinia nickte. »Das habe ich erwartet. Ihnen und dem Kind geht es gut?«
»Ich fühle mich
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