Das Lied der Luege
wohl, und das Kind hat sich gestern zum ersten Mal bewegt«, sagte Susan und konnte nicht verhindern, dass sie lächelte. Ein Schatten fiel über Lavinias Gesicht.
»Gewöhnen Sie sich nur nicht zu sehr an das Kind.« Ihre Stimme war hart und kalt. »Wir haben eine Abmachung.«
Susan straffte die Schultern. »Keine Sorge, Lady Lavinia, ich vergesse das nicht. Ich dachte nur, es interessiert Sie, dass mit dem Kind alles in Ordnung ist. Caja Nankerris hat es bestätigt, nachdem sie mich gründlich untersucht hat. Die Frau muss Ihr uneingeschränktes Vertrauen besitzen, da Sie sie eingeweiht haben.«
»Nun, ganz ohne Hilfe geht es nicht, oder wollen Sie das Kind etwa allein in einer einsamen Hütte zur Welt bringen? Zerbrechen Sie sich darüber nicht den Kopf, es läuft alles nach Plan. Wenn es Frühling wird, erhalten Sie das Geld und können dann machen, was Sie wollen. Bis dahin werden Sie sich jedoch nach Cajas Anweisungen richten oder auch nach meinen, sofern ich Ihnen Nachrichten zukommen lasse.«
»Ich bin mir meiner Pflichten durchaus bewusst«, sagte Susan unterwürfig. Dabei interessierte es sie brennend, wie Lavinia ihre nicht vorhandene Schwangerschaft gegenüber dem Personal in Sumerhays erklärte. Ihr eigener Bauch rundete sich zusehends, in zwei, drei Wochen würde die Schwangerschaft auch in bekleidetem Zustand deutlich zu erkennen sein. Lavinia hingegen war von Natur aus rank und schlank wie ein Reh, da nutzte auch die weite Kleidung, die sie heute trug, um sie dicker erscheinen zu lassen, nichts. Lavinia bemerkte Susans Blick, der unweigerlich zu ihrer Körpermitte gewandert war.
»Das lassen Sie meine Sorge sein«, beantwortete sie Susans unausgesprochene Frage. »Ich hörte, Sie haben die zweifelhafte Bekanntschaft von Stephen Polkinghorn gemacht.«
Susan runzelte die Stirn. Sie hätte sich denken können, dass Max seiner Mutter sofort von dieser Begegnung berichtet hatte.
»Bekanntschaft ist zu viel gesagt«, entgegnete sie ruhig. »Er sprach mich in Polperro an, ich gab ihm jedoch zu verstehen, dass ich an einer Unterhaltung oder gar einer näheren Bekanntschaft nicht interessiert bin.«
»Gut, das sollten Sie auch künftig tun.« Lavinia sah Susan scharf an. »Dieser Mann ist nicht nur ein Schürzenjäger, sondern auch eine der größten Klatschbasen der ganzen Grafschaft, schlimmer als jedes Fischweib. Unsere Familien verkehren nicht miteinander.«
Susan nickte. Sie hätte gerne gewusst, warum Polkinghorn derart unbeliebt war, denn spielen taten viele Männer, und Frauengeschichten hatten auch die meisten. Sie merkte jedoch an Lavinias ablehnendem Verhalten, dass sie das Thema nicht weiter verfolgen wollte.
»Haben Sie noch genügend Geld?«, fragte Lavinia plötzlich und zog ihre Geldbörse aus der Manteltasche.
»Danke, ja, auf der Farm brauche ich ja nicht viel. Caja kocht am Abend immer eine Portion für mich mit, die sie mir ins Cottage bringt, und frische Lebensmittel kauft Max für mich ein.«
Lavinia nahm ein paar Münzen aus der Börse und drückte sie Susan in die Hand.
»Nehmen Sie das Geld trotzdem. Ich weiß nicht, wann wir uns das nächste Mal treffen können. Jetzt kommt die Vorweihnachtszeit, da ist es für mich unmöglich, mich völlig von allen Bekannten und Nachbarn zurückzuziehen. Wahrscheinlich können wir uns erst im neuen Jahr wiedersehen.«
Susan bedankte sich und steckte das Geld in ihre Rocktasche. Sie nahm an, Caja Nankerris wurde von Lavinia für ihre Dienste ebenso bezahlt, daher nahm sie das kostenlose Essen der Farmersfrau widerspruchslos an.
Die beiden Frauen trennten sich mit einem Nicken. Während Susan den Anstieg zur Straße hinaufkletterte, schlug Lavinia den Küstenweg in Richtung Polperro ein. Für einen Moment war Susan versucht, Lavinia zu folgen. Zu gerne hätte sie einen Blick auf Sumerhays geworfen, aber sie wusste, Lavinia wäre darüber sicher ärgerlich. Nun, irgendwann würde sie mal einen Spaziergang an den Klippen unternehmen und ganz zufällig am Herrenhaus vorbeikommen. Susan war neugierig darauf, zu erfahren, wie vermögende Leute wie Lavinia wohl lebten. Bald würde auch sie nicht mehr jeden Penny zweimal umdrehen müssen und sich mehr leisten können. Da musste sie schließlich wissen, was prunkvoll war, ohne überladen oder gar billig zu wirken. Wobei sie sich einen Besitz, wie dieses Sumerhays sein musste, natürlich nicht würde leisten können. Susan hatte jedoch die feste Absicht, mit ihrer Vergangenheit zu brechen und
Weitere Kostenlose Bücher