Das Lied der Luege
schreien: »Platz da!«, dann quietschten die Bremsen, und Stephen versuchte, dem Fuhrwerk auszuweichen. Das Automobil rutschte nach rechts in den Heckenwall, schien eine Sekunde in der Luft zu hängen, dann war plötzlich unten oben und oben unten. Susan merkte noch, wie sie vom Sitz geschleudert wurde und ihr Kopf auf etwas Hartem aufschlug. Ihr Kopf schien zu explodieren, dann wurde alles schwarz um sie herum.
7. Kapitel
S ie kommt zu sich.« Wie aus weiter Ferne hörte Susan die Worte. Sie stöhnte und versuchte, die Augen zu öffnen. Sofort schien ein rasender Schmerz ihren Kopf in zwei Teile spalten zu wollen. »Bleiben Sie ruhig liegen«, fuhr die Stimme fort. »Sie haben eine Gehirnerschütterung.«
Susan gelang es, die Augen zu öffnen. Sie lag in einem ihr fremden Bett, und eine ältere Frau, die sie nie zuvor gesehen hatte, tupfte mit einem kühlen, feuchten Tuch ihre Stirn ab. Langsam kehrte Susans Erinnerung zurück. Die Ausfahrt mit Stephen, die enge Straße und dann plötzlich das Fuhrwerk …
»Was ist mit meinem Kind?« Unwillkürlich fuhren Susans Hände zu ihrem Bauch, und sie seufzte erleichtert, als sie die Wölbung ertastete.
»Sie haben mehr Glück als Verstand gehabt.« Eine zweite Stimme drang an Susans Ohr. Eine Stimme, die sie kannte, und an der anderen Bettseite erschien Caja Nankerris und funkelte Susan zornig an. »Dem Kind ist nichts geschehen, jedenfalls soweit ich es feststellen kann. Sie haben jedoch Prellungen am ganzen Körper, Ihr linkes Handgelenk ist verstaucht, und Sie haben eine Gehirnerschütterung.«
»Und Stephen?«, fragte Susan. »Was ist mit Stephen?«
Caja schnaubte verächtlich. »Der verantwortungslose Kerl hat nur ein paar Kratzer abbekommen, hat jedoch über seine Höllenmaschine, die nunmehr ein einziger Schrotthaufen ist, mehr gejammert als über seine Blessuren.« Cajas Augen verengten sich zu Schlitzen, als sie wütend zischte: »Was haben Sie sich dabei gedacht, mit diesem Kerl durch die Gegend zu fahren? Dazu noch in Ihrem Zustand.«
Susan wurde einer Antwort enthoben, denn die Tür öffnete sich, und Lavinia Callington trat ein. Susan war überrascht, sie zu sehen, und Lavinias Zorn stand dem Cajas in nichts nach.
»Danke, Mrs. Windle, Sie können jetzt gehen«, sagte Lavinia mühsam beherrscht zu der älteren Frau, die auf Susans Bettkante saß. »Ich habe mit unserer
Patientin
zu sprechen.«
Kaum hatte die Frau das Zimmer verlassen, schüttelte Lavinia Susan so heftig an den Schultern, dass der Schmerz in ihrem Kopf unerträglich wurde. Susan stöhnte und flüsterte: »Es tut mir leid, Mylady. Wirklich, das habe ich nicht gewollt.«
»Es ist nicht nur der Unfall, bei dem Sie oder das Kind hätten sterben können, sondern auch die Tatsache, dass Sie sich mit Stephen Polkinghorn herumtreiben! Wissen Sie nicht, dass er den schlechtesten Ruf in der ganzen Grafschaft hat?«
Susan nickte vorsichtig. »Das war mir bewusst, Mylady, und ich kann mich nicht mehr als entschuldigen. Wir sind bereits mehrmals zusammen ausgefahren, und Stephen ist ein guter Autofahrer. Da war aber plötzlich das Fuhrwerk, es bog einfach in die Straße ein, ohne dass der Kutscher uns gesehen hatte. Stephen trifft keine Schuld …«
»Nein, sicher nicht, aber Sie sind die verantwortungsloseste Person, die mir jemals begegnet ist.« Scharf unterbrach Lavinia Susans Erklärungsversuch. »Ich bezahle Sie mehr als gut, damit Sie ein gesundes Kind zur Welt bringen, und wie danken Sie mir das? Indem Sie sich wie ein billiges Flittchen mit einem zweifelhaften Mann herumtreiben und das Leben des Kindes gefährden.«
»Es tut mir leid«, wiederholte Susan. Sie war über Lavinias Wutausbruch nicht böse, denn sie hatte ja recht. Es war von ihr unverantwortlich gewesen, sich als Schwangere in ein Automobil zu setzen. »Es wird nicht wieder vorkommen, und Mr. Polkinghorn werde ich auch nicht wiedersehen.«
»Das werden Sie ganz sicher nicht.« Lavinia erhob sich und blickte zu Caja. »Sie werden nämlich im Bett bleiben und dieses Zimmer nicht mehr verlassen.«
Susan nickte schuldbewusst. »Selbstverständlich, Mylady, ich tue alles, um bald wieder gesund zu werden.«
Caja verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte zynisch.
»Sie verstehen nicht, Susan. Was Lady Lavinia meinte, ist, dass Sie bis zur Geburt in diesem Zimmer bleiben werden. Wir alle möchten nicht, dass Sie sich erneut einer solchen Gefahr aussetzen, nicht wahr?«
Erschrocken blickte Susan sich um. Erst
Weitere Kostenlose Bücher