Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
Vom Netzwerk:
hatte etwas Aufregendes angehaftet. Sie fragte sich, wie es wohl wäre, auf einer Bühne zu stehen und sich den Menschen zu präsentieren. Dazu gehörte sicher viel Mut und Selbstbewusstsein, aber es würde bestimmt auch Spaß machen, für eine oder zwei Stunden in eine Rolle zu schlüpfen und jemand anderen darzustellen: eine Person, die man gerne wäre, oder auch eine Szene zu spielen, die man sonst niemals erleben würde.
    Da es bereits dunkel war, als sie nach Looe kamen, fuhr Stephen bis zur Kreuzung, von der der Weg zur Farm abzweigte, damit Susan nicht im Dunkeln zurückgehen musste. Hier wollte Susan aussteigen. Da sie nicht wusste, ob die Nankerris bereits von Fowey zurückgekommen waren, wollte sie nicht riskieren, dass man sie und Stephen zusammen sah.
    »Ich danke Ihnen für diesen schönen Nachmittag.« Susan meinte es ehrlich, die kleine Missstimmung, die am Anfang des Ausflugs geherrscht hatte, war verflogen. Warum auch sollte sie Stephen zürnen? Er hatte doch mit allem, was er gesagt hatte, recht gehabt. Sie war keine ehrbare Frau, schon gar keine Lady. Susan hatte den Tag, das Theaterstück und letztendlich auch Stephens Gesellschaft genossen. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so amüsiert. Alles, was in den vergangenen Monaten geschehen war, hatte sie für ein paar Stunden vergessen, sogar an Jimmy hatte sie nicht gedacht.
    »Ich würde mich freuen, wenn wir einen solchen Tag bald wiederholen könnten«, sagte Stephen.
    Susan lachte und deutete auf ihren Bauch. In Gegenwart von Stephen Polkinghorn musste sie sich nicht so verschämt geben, wie es in der Gesellschaft erwartet wurde.
    »Es wird Ihnen wenig Spaß machen, mit einer Tonne unterwegs zu sein, Stephen. In vier, fünf Wochen werde ich aufgedunsen, unförmig und hässlich sein.«
    »Nein, Susan, Sie werden niemals hässlich sein.« Stephens Stimme klang so ernst, wie Susan sie nie zuvor gehört hatte. »Sie haben eine innere Schönheit, die äußere Umstände niemals überdecken können.«
     
    Susan schlief kaum in dieser Nacht. Der Ausflug und der Theaterbesuch hatten sie aufgewühlt. Obwohl Stephen ihr unverblümt seine Meinung sagte und keinen Zweifel daran ließ, dass er sie für eine leichtfertige Person hielt, konnte Susan ihm nicht ernsthaft böse sein. Sie mochte ihn und fühlte sich wohl in seiner Gesellschaft, wenngleich ihr Herz bei seinem Anblick nicht schneller schlug. Nein, sie würde sich nicht in Stephen Polkinghorn verlieben. In ihrer derzeitigen Situation gab es keinen Platz für Gefühle, und auf eine belanglose Affäre hatte Susan schon gar keine Lust. Außerdem war sie hochschwanger und dadurch wenig attraktiv, wenngleich Stephen ihr schmeichelte, er finde sie dennoch schön. Nun, er hatte auch Janna nette Worte gesagt, obwohl er ihre schauspielerische Leistung in Wahrheit schlecht fand. Stephen Polkinghorn war ein Mann, der wusste, wie man mit Frauen umging. Nur war sie, Susan, kein naives Dummchen, das auf Süßholzgeraspel hereinfiel. Wenn er jedoch dazu diente, der eintönigen Langeweile zu entfliehen, dann kam er Susan gerade recht. Sie fürchtete nicht, dass Stephen sich ihr in einer Art und Weise nähern würde, die sie nicht wollte, und selbst wenn, würde sie ihn in die Schranken weisen. Susan war in einem Umfeld aufgewachsen, in dem sich hübsche, junge Frauen ständig Nachstellungen von Männern ausgesetzt sahen. Sie konnte damit umgehen.
     
    Es schien wie ein Zufall, als Susan Stephen drei Tage später bei einem ihrer Klippenspaziergänge erneut traf. Sie vermutete allerdings, er habe auf sie gewartet, da er wusste, dass sie sich oft hier aufhielt, sprach es jedoch nicht an. Stephen war wieder mit seinem Automobil unterwegs, und da es ein trockener Tag war, ließ sich Susan zu einer erneuten Spazierfahrt einladen.
    »Waren Sie schon einmal in Lostwithiel?«, fragte er. »Nein? Sie müssen sich das kleine, verschlafene Städtchen unbedingt ansehen, besonders die Kirche und die Ruinen der normannischen Burg sind interessant.«
    Susan zögerte nicht lange, und wenig später fuhren sie auf der Straße, die Liskeard mit Lostwithiel verband. Die gewundene Straße war besonders schmal und an beiden Seiten von meterhohen, selbst jetzt im Winter noch dichten und grünen Hecken gesäumt. Später konnte Susan nicht sagen, wann sie das Pferdefuhrwerk gesehen hatte, das plötzlich aus einem Seitenweg einbog, ohne auf den Verkehr zu achten, aber als sie es erkannte, war es bereits zu spät. Sie hörte Stephen

Weitere Kostenlose Bücher