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Das Lied der Luege

Das Lied der Luege

Titel: Das Lied der Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ricarda Martin
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sie nicht gut ist, warum hat sie dann die Hauptrolle? Es gibt doch zahlreiche andere Schauspielerinnen, die diese Rolle spielen könnten.«
    »Sie ist recht hübsch, nicht wahr?« Stephen zwinkerte ihr zu. »Der Besitzer des Theaters ist Janna Howards Gönner.«
    »Aha.« Susan verstand, was er meinte, und es erklärte, warum eine mittelmäßige Schauspielerin eine tragende Rolle erhielt.
    »Nun, ich möchte die liebe Janna nicht allzu schlechtmachen«, fuhr Stephen fort, »denn sie träumt davon, eines Tages so berühmt wie Sarah Bernhardt zu sein. Wer weiß, wenn sie die richtigen Leute kennenlernt, schafft sie es vielleicht sogar an ein Theater in London.«
    »Sarah … wer?«, fragte Susan und nippte an ihrem Punsch.
    Stephens Augenbrauen zuckten nach oben, und er sah sie erstaunt an.
    »Sarah Bernhardt«, wiederholte er langsam. »Sie waren wohl noch nicht oft im Theater, nicht wahr?«
    »Es ist heute mein erstes Mal«, gab Susan zu.
    »Trotzdem müssen Sie doch von
Madame Sarah
gehört haben! Ganz London, ach was, ganz England liegt ihr zu Füßen, wenn sie eine Gastspielreise in unser Land macht. Sie ist die beste Schauspielerin der Welt, obwohl es Stimmen gibt, die meinen, dass die Duse ihr inzwischen überlegen ist.«
    Da Susan auch den Namen Duse nie zuvor gehört hatte, nickte sie nur lächelnd. In London hatte es zwar immer mal wieder kleine Straßenaufführungen gegeben, bei denen Susan manchmal zugesehen hatte, aber ein großes Theater, in dem eine weltbekannte Schauspielerin auftrat, hatte Susan bisher nur von außen gesehen.
    »Mein Wunsch ist es, Sarah Bernhardt einmal persönlich zu begegnen«, fuhr Stephen fort, und in seinem Blick lag etwas Träumerisches. »Vor einigen Jahren durfte ich sie auf der Bühne im Gaiety Theatre in der Rolle als Esther erleben. Mein Vater jedoch sah Madame Sarah nicht nur in ihrer wohl besten Rolle als Phédre, sondern war auch zu einem Empfang geladen, bei dem die Schauspielerin ebenfalls anwesend war. Damals war die Londoner Gesellschaft noch gespalten, wenn es darum ging, eine Frau wie Sarah Bernhardt einzuladen, doch mein Vater gehörte zu den Glücklichen, die bei Tisch ihr gegenübersitzen durften. Zwar wechselten sie kein Wort miteinander, doch mein Vater schwärmt noch heute von dieser Begegnung. Inzwischen ist es
en vogue
, diese Grande Dame des Theaters in seinem Haus begrüßen zu dürfen. Leider beehrt uns Madame Sarah nur selten mit ihrer Anwesenheit, denn die Tourneen rund um die Welt erfordern viel Zeit. Allein in den vergangenen zwei Jahren tourte sie mehrere Monate durch ganz Nordamerika. Wenn Sarah Bernhardt wieder einmal in London gastiert, müssen Sie unbedingt eine ihrer Vorstellungen besuchen, Susan.«
    Susan nickte, murmelte ihre Zustimmung und war froh, als der Gong das Ende der Pause einläutete und das Spiel fortgesetzt wurde. Sie konnte Stephens Begeisterung zwar nicht nachempfinden, ihm war jedoch anzumerken, dass diese Schauspielerin etwas ganz Besonderes für ihn sein musste. Susan beschloss, wenn sie wieder in London war, sich über die Frau zu informieren. Es konnte nicht schaden, über etwas Bildung im Bereich der Kunst zu verfügen.
    Der zweite Teil des Schauspiels war sogar noch schlechter und absurder als der erste. Nachdem die beiden Brüder erkannten, welches Spiel das Mädchen mit ihnen trieb, wandten sich beide von ihr ab und heirateten jeweils andere Frauen. Das Mädchen, inzwischen sicher, den älteren Bruder zu lieben, war darüber so verzweifelt, dass sie versuchte, sich das Leben zu nehmen. Im letzten Moment wurde sie von einem Freund, dem sie bisher kaum Beachtung geschenkt hatte und der in dem Stück auch nur kurz aufgetreten war, gerettet und verliebte sich prompt in diesen. Am Ende waren alle glücklich, und die Zuschauer applaudierten pflichtschuldig.
    Während Susan und Stephen zum Ausgang drängten, trat ein älterer Herr ihnen in den Weg. Er zog seinen Hut vor Susan, nickte Stephen kurz zu, dann wanderte sein Blick zu Susans Körpermitte. Daraufhin schnalzte er mit der Zunge, sah Stephen an und meinte: »Oh, là, là, mein Lieber, ich sehe, du bleibst deinem Lebensstil treu.«
    Susan schoss das Blut in die Wangen, doch bevor sie dem Fremden ein paar richtigstellende Worte entgegnen konnte, sagte Stephen: »Mein lieber Humphrey, ich hörte, dass deine dritte Scheidung läuft, die dich wieder eine Stange Geld kosten wird. Es scheint wohl keine Frau zu geben, die es länger mit dir aushält, was?«
    Der Mann grinste,

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